in fussballland : Gras im Himmel
CHRISTOPH BIERMANN über die großen Zeiten von Nottingham Forest unter dem legendären Brian Clough
Es dämmerte eine ganz große Zeit für Nottingham Forest herauf, als wir in England ankamen. Unter ihrem neuen Trainer Brian Clough war der Klub gerade wieder aus der Zweiten Liga in die First Division zurückgekehrt, und am Ende der Saison 1977/78 sollte er sensationellerweise englischer Meister werden. Noch einen Sommer später würde die Mannschaft den Europapokal der Landesmeister gewinnen und im Jahr danach den Titel im Endspiel von Madrid gegen den Hamburger SV verteidigen. Der rüde und großmäulige Brian Clough würde zu einem der Säulenheiligen des englischen Fußballs werden, und einige seiner Zitate sollten Ewigkeitswert bekommen. Am schönsten war seine Verteidigung des flachen Passes: „Wenn Gott gewollt hätte, dass wir den Ball hoch spielen, hätte er das Gras in den Himmel gepflanzt.“
Wir waren von der Schule aus in das beste Land der Welt verfrachtet worden. Dort gab es Popmusik und Fußball, die beiden für mich damals maßgeblichen Beiträge Englands zum Weltkulturerbe. Außerdem waren Engländer hinreißend englisch, wie sich auch bei der älteren Dame im Vorort Croydon erwies, wo wir eine Woche in einem der typischen terraced houses wohnten, typischerweise Tee mit Milch tranken und unserer Herbergsmutter lauschten, die davon überzeugt war, dass Hitler noch lebte. Ihrer Meinung nach hielt er sich in Argentinien auf und erfreute sich bester Gesundheit. Wir führten über den damals auch schon 88 Jahre alten Hitler keine Diskussion mit ihr und bestaunten Comics, in denen die Deutschen immer Offiziere, Nazis oder beides waren und so komische Sache wie „Jawoll“ in den Sprechblasen standen.
Am Samstag ging ich ins Stadion und nahm dazu die U-Bahn bis zur Station Arsenal, um das Spiel gegen Nottingham Forest zu sehen. Am Stadion Highbury kaufte ich mir eine Karte für die Sitztribüne, was ich zu jener Zeit in Deutschland nie getan hätte. Aber englische Stadien waren damals ausgesprochen gefährliche Orte. Ich saß im unteren Teil der Gegentribüne auf Höhe des Strafraums und hatte zugleich einen guten Blick auf das so genannte „Clock End“. Dort gab es damals noch keine VIP-Logen hinter Glas, wie es heute der Fall ist, sondern Stehplätze, die von Wellblechmauern eingefasst waren. In der Mitte war ein Aufgang, und dieser bildete eine Trennlinie zwischen den Fans beider Mannschaften.
Wenn ich mich nicht sehr täusche, verlor Nottingham damals mit 0:3, was nur eine von drei Niederlagen auf dem Weg zum Titel war, doch schon bald schaute ich mir das Spiel nur noch aus dem Augenwinkel an. Mit nicht nachlassender Begeisterung droschen die beiden Fangruppen aufeinander ein. Die Reihe von Polizisten dazwischen übernahm die Rolle des Unparteiischen und führte durch den Ausgang immer wieder Leute ab. Selbstverständlich ging das vonstatten, es lag fast schon eine Eleganz in diesem Wogen und Wegspülen aus dem Stadion hinaus.
Samstags fuhren damals, das wird heute nicht anders sein, die Anhänger vieler unterschiedlicher Klubs mit der U-Bahn durch London. Sie waren zu jener Zeit auf die Treffen mit den anderen Stämmen vorbereitet. Ich werde nie einen hünenhaften Schwarzen in den Farben von West Ham United vergessen, der einen schön gearbeiteten Knüppel aus Wurzelholz bei sich trug und mit maliziösem Lächeln dessen Knauf streichelte.
Inzwischen ist es in England nicht mehr gefährlich, ins Stadion zu gehen. Nachdem es irgendwann so schlimm geworden war, dass dort Menschen starben, mussten neue Zeiten anbrechen. Sie wurden moderner und sicherer, das Abenteuer England war vorbei – im Fußball und in der Popmusik. Gemeinsam mit Old England verschied auch Adolf Hitler, wenn er nicht doch inzwischen 116 Jahre alt geworden ist. Doch in Nottingham wird man gerade jetzt die alten Zeiten beschwören. Im letzten Jahr starb Brian Clough. Und Nottingham Forest kämpft verzweifelt gegen den Abstieg in die Dritte Liga.