in fußballland : Mein Freund der Baum
CHRISTOPH BIERMANN über die fortschreitende Entlaubung in deutschen Stadien
Keine ganz neue Erkenntnis ist, dass man immer gerne das hätte, was man gerade nicht hat. Erstaunlich, dass einem diese Erkenntnis auch in Paderborn kommen kann, und zwar im Stadion des Zweitligisten SC Paderborn 07, das nach dem Schriftsteller Hermann Löns benannt ist, der besonders gern die Schönheiten der Heide bedichtete, was aber nichts daran ändert, dass das Stadion mit seinem Namen das einzige im deutschen Profifußball ist, worüber Hochspannungsleitungen führen.
Doch anstatt darüber nachzusinnen, ob der Newcomer aus dem Westfälischen deshalb unter Elektrosmog leidet und warum ich nie von diesen Leitungen gehört hatte, fiel mir dort vor allem die Baumreihe hinter der Gegengerade auf. Ich bin nämlich als Fußballzuschauer mit Bäumen aufgewachsen, weil das schöne Stadion am Schloss Strünkede, die Heimat des SC Westfalia Herne 04, von Bäumen umsäumt ist. Man kann sich daher an traurigeren Tagen dort stets von deren Grün trösten lassen (die blätterlosen Monate können daher besonders trostlos sein). Auch das Stadion an der Castroper Straße, der Vorgänger des Bochumer Ruhrstadions, umstanden Bäume, wenn auch nicht so viele. Überhaupt war das früher ganz selbstverständlich, doch eigentlich wollte man damals baumlose Stadien haben. Das war kein naturfeindlicher Impuls, sondern entsprach dem Wunsch, dass die Stadien enge und abgeschlossene Stimmungskessel sein sollten. Am besten so wie in England, wo es fast nirgends Stadien gab, in denen man während des Spiels auf Bäume schauen konnte.
Abgesehen von ländlichen Orten wie Rochdale und Shrewsbury waren die Stadien dort zumeist in städtischen Bereichen eingeklemmt, wo es sowieso keine Bäume gab. Englische Stadien waren gegen das Außen abgeschottet wie Burgen, zu gucken gab es da nichts als das Spiel.
Davon konnten wir in Deutschland nur träumen, wo Stadien offene Schüsseln waren und das Spielfeld distanziert durch Laufbahnen mit roter Asche. Man hätte früher also eher eine Liste gemacht, in welchem Stadion man keinen Baum sehen konnte, doch heute ist das genau umgedreht. Alles ist nun Arena und man sieht mancherorts nicht einmal mehr den Himmel. Deshalb ist die Auflistung der Bundesligastadien kurz, in denen mehr als ein paar Zweige ins Stadion schauen, denn die höchste Spielklasse ist fast baumfrei, sieht man vom Stadion der Freundschaft in Cottbus ab und mit Einschränkungen vom Tivoli in Aachen.
Ist es also ein Armutsphänomen, wenn man von seinem Platz auf den Tribünen ins Grün schauen kann, man muss dafür schon eine Liga absteigen. Besonders schön ist der Blick in Freiburg, wo man auf die bewaldeten Hänge des Schwarzwaldes schaut, oder in Aue, wo baumbestandene Ausläufer des Erzgebirges zu sehen sind, das dem Stadion den Namen gegeben hat.
Auch in Karlsruhe, Offenbach oder Burghausen, in Koblenz, Erfurt und Essen können sich die Zuschauer den einen oder anderen Baum anschauen, wenn ihnen das Spiel zur Kontemplation nicht mehr reicht. Baumtechnisch betrachtet aber ist das Stadion in Paderborn das wohl beste der ersten beiden Profiligen, denn entlang der Gegentribüne haben die Bäume eine Prominenz wie nirgends sonst.
Unter den Hochspannungsleitungen bringt dort übrigens eine nette Dame vom Würstchenstand den Rollstuhlfahrern, die zwischen den Trainerbänken den Spielen zuschauen, etwas zu Essen und Getränke an den Platz, und wenn ich das richtig gesehen habe, müssen nur die Begleitpersonen für diesen netten Service bezahlen. So viel ungewöhnliche Menschenfreundlichkeit kann nur im Zusammenhang mit dem Grün hinter der Gegengerade stehen und dem Umstand, dass man all die provisorischen Tribünen im Herrmann-Löns-Stadion in einem guten halben Tag abschrauben und wegtragen kann. Umso bedauerlicher, dass selbst der SC Paderborn 07 eine neue Arena plant, in die kein Zweig mehr lugen soll.