heute in bremen : „Die Auflösung von Stress heißt nicht Orgasmus“
Autorin und Therapeutin Claudia Haarmann liest aus ihrem Buch über Frauensexualität
Ihr Buch heißt: „Unten rum. Die Scham ist noch nicht vorbei“. Sexualforscher hingegen reden vom entdramatisierten Sex.
Claudia Haarmann: Wir haben ja auch seit langem so getan als ob. Der Titel ist ein Zitat von Anja Meulenbelt, die als sehr Frauenbewegte vor 30 Jahren gesagt hat: „Die Scham ist vorbei“. Ich behaupte: Das ist weit gefehlt. Ich komme selbst aus der sexuellen Befreiung, habe früher in einer Kommune gelebt. Heute weiß man, dass sich über 40 Prozent der Frauen als sexuell gestört erachten. Viele Frauen empfinden, dass sie für sich nicht das leben, was die Medienwelt propagiert.
Sind es die Frauen – oder müsste man nicht vielmehr nach dem Alter unterscheiden?
Das ist ja das Erstaunliche: Auch jungen Frauen sind mit dem „Nicht wissen wie“ konfrontiert. Da wird postuliert: Wir sind total frei. Aber die eigene Realität ist gar nicht da angekommen. Es gibt nach wie vor nicht die Mütter, die junge Frauen da hinführen, offen darüber zu reden, was Lust ist. Es geht eher um das Funktionieren.
Aber sind Töchter da heute noch so auf Mütter angewiesen?
Wenn sie das Gefühl haben: Ich muss mit 20 schon multiple Orgasmen haben, um dazuzugehören – der eigene Körper funktioniert aber nicht so, dann werden sie Stress haben. Das erzeugt neues Schamgefühl: Bei allen funktioniert das super, nur bei mir nicht. Junge Frauen – und auch Männer – verabschieden sich heute teilweise von der Sexualität, weil sie unterschwellig einen großen Druck fühlen, dem sie nicht standhalten können.
Wegen des Stresses in ihrem Alltag?
Die Auflösung von Stress heißt ja nicht Orgasmus, sondern Entspannung.
Die Lesung heute ist nur für Frauen zugänglich. Müsste man das nicht den Männern vortragen?
Ja. Vielleicht betrifft es die Männer sogar noch mehr.
Fragen: Jan Zier
Lesung: 19.30 Uhr, Kornstraße 100