herr tietz macht einen weiten einwurf : Fritz Tietz über die Spiele in Hamburg
Labskaus und Steinway
Am 12. April entscheidet die Vollversammlung des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) für Deutschland, welche deutsche Stadt sich beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 bewerben darf. Wie’s aussieht, wird wohl Hamburg das Rennen machen. Offenbar gibt es eine Menge guter Gründe, warum die Spiele am ehesten dort stattfinden sollten. Mir ist bisher allerdings noch keiner eingefallen.
Der Bild-Zeitung dafür umso mehr. Deren Hamburger Lokalredaktion listete am Montag „100 gute Gründe“ auf, weshalb Hamburg die Olympischen Spiele bekommen sollte. „Weil auf Hamburgs Straßen die meisten Cabrios fahren“, lautet zum Beispiel einer. „Weil die berühmtesten Flügel der Welt bei Steinway in Bahrenfeld gebaut werden“, ein anderer. Ich kenne zwar die Vergabekriterien des IOC nicht, kann mir aber kaum vorstellen, dass die Cabriomenge einer Stadt oder die Berühmtheit ihrer Klaviere eine entscheidende Rolle spielen. Und auch dieser gute Grund scheint mir eher wenig über den olympischen Geist auszusagen, den Hamburg angeblich so intensiv atmet: „Weil Holsten und Astra so gut zischen.“
„Weil Labskaus dann endlich weltweit als Delikatesse gewürdigt wird“, ist laut Bild noch so ein quasi zwingender Nachweis für Hamburgs olympische Ambitionen, obwohl doch der hanseatische Pamp nach dem letzten Welternährungsbericht der UN keineswegs eine Delikatesse und schon gar nicht würdigenswert genannt werden darf. „Würgenswert“ ist das wohl angemessenere Prädikat. Dass „die Sängerinnen ‚Blümchen‘ Jasmin Wagner, Isabell und Vicky Leandros in Hamburg leben“, muss auch nicht gerade, wie Bild behauptet, ein besonders stichhaltiger olympischer Pluspunkt sein. Pest, Cholera oder chronischer Durchfall sind es ja auch nicht. Und dass – noch so ein vorgeblich triftiger Bild-Grund – „alljährlich in Hamburg der größte Motorrad-Gottesdienst der Welt stattfindet“, sollte eigentlich auch erst dann als ein Vorzug Hamburgs gelten, wenn sich die lärmenden Gottes-Kradler, vielleicht schon nach ihrem nächsten Krachamt, kollektiv in der Alster ersäuft haben.
Tatsächlich hat mich nur einer der Top-100-Gründe wirklich überzeugt, nämlich der hier: „Weil wir unsere Gästezimmer gut untervermieten werden.“ Da ich keine 30 Kilometer Luftlinie vom geplanten Hamburger Olympiastadion am Hafen entfernt wohne, werde ich, falls Hamburg den Zuschlag erhält, diesen Standortvorteil zu beherzigen wissen, und zwar, wie durch Bild angeregt, durch die möglichst wucherpreisige Untervermietung unseres ca. 12 Quadratmeter großen Gästezimmers. Nach einer, mittlerweile quadratmetergenau, durchgeführten Kalkulation könnte ich da bis zu 15, zumindest kleinwüchsigere Olympiatouristen einquartieren. Von den Mieteinnahmen werde ich dann meiner 2012 hoffentlich hochschulreifen Tochter das Studium finanzieren. Es sei denn, die dann 19-Jährige ergreift die olympische Chance, verdingt sich im Olympiastadion als Prominenten-Hostess und schnappt sich, wie es Silvia Sommerlath 1972 geradezu vorbildlich tat, einen schwedischen oder sonstwie schwerreichen Regenten. „Weil Olympia Arbeitsplätze schafft“, lautet denn auch ein weiterer, durchaus plausibler Bild-Grund für die Olympischen Spiele 2012 in Hamburg.
Neben dem Job als Hostess gilt übrigens immer noch Goldmedaillengewinner als begehrtester olympischer Arbeitsplatz, dicht gefolgt von der Tätigkeit des letzten Fackelträgers. Ich würde mich 2012 allerdings bevorzugt auf die Stelle des offiziellen Spieleeröffners bewerben, auch wenn ich dafür in den sehr sauren Apfel beißen und mich zuvor zum nächsten Bundespräsidenten wählen lassen müsste. Nicht bemühen wollte ich mich hingegen um die Stelle als Sprecher des olympischen Eids. Ich möchte schließlich nicht enden wie Heidi Schüller. Die hatte den Job 1972 in München. Heute soll sie sich in psychiatrischer Behandlung befinden.
Fotohinweis: Fritz Tietz ist 44 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.