herr tietz macht einen weiten einwurf : Außergewöhnliche Umstände
Fragen über Fragen: Was darf die Bundeswehr während der WM und wann hat ein Jahr als sportlich erfolgreich zu gelten?
Herr Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport
Gerade frisch ins Amt gerollt, forderte Innenminister Wolfgang Schäuble für die Fußball-Weltmeisterschaft nächstes Jahr in Deutschland die militärische Unterstützung der Bundeswehr an. Er begründete dies mit potenziell „außergewöhnlichen Umständen“ und dass man, falls diese aufträten, möglicherweise eine Reserve benötige: „Da sollten wir auf die Bundeswehr zurückgreifen können“, so Wolfgang Schäuble.
Eine Reserve benötigen? Auf die Bundeswehr zurückgreifen? Soll das heißen, dass jetzt bei der Weltmeisterschaft ständig Soldaten mit auf der deutschen Reservebank sitzen? Und wann genau soll einer jener „außergewöhnlichen Umstände“ als eingetreten gelten? Schon nach einer knappen Niederlage Deutschlands im Eröffnungsspiel? Oder erst im letzten Vorrundenspiel gegen Ecuador, wenn beim Stand von, sagen wir mal, Null zu Vier (und erst recht nach einer vorangegangenen Pleite gegen Polen) so gut wie klar sein dürfte, dass die Deutschen vorzeitig ausscheiden? Welche militärischen Maßnahmen würde man dann aber von unseren uniformierten Reservisten erwarten? Die völkerrechtswidrige Einwechslung ins Spielgeschehen? Die Okkupierung sämtlicher Gruppengegner? Die Bombardierung ihrer Mannschaftsquartiere?
So abwegig ist das alles gar nicht. Schließlich hat der amtierende deutsche Verteidigungsminister, ein gewisser Franz Josef Jung, dem Kabinettskollegen Schäuble Anfang dieser Woche versichert: „Unsere Soldaten werden nur für Aufgaben eingesetzt, für die sie auch ausgebildet sind.“ Und auch das sagte Jung Schäuble zu: „Wenn bei der Fußball-Weltmeisterschaft eine Katastrophenlage eintritt, dann wird die Bundeswehr selbstverständlich helfen.“ Was aber gilt vielen Deutschen als die denkbar größte Katastrophe? Genau: das vorzeitige Aus der Nationalelf.
Neben diesem eher Nato-grünen Ausblick auf die Weltmeisterschaft will ich es aber in diesen besinnlichen Tagen nicht versäumen, wieder meine ganz persönliche sportliche Bilanz des Jahres zu ziehen. An die ganz große Glocke gehört die sicher nicht gehängt. Doch was kann ich schon noch sportlich Beglockenswertes von meinem mittlerweile 47 Jahre alten Körper erwarten? Immerhin das Rauchen habe ich eingestellt. Das ist zwar keine ausgewiesen athletische Leistung, aber wenigstens eine, die selbige nicht noch mehr schmälert, als dies durch den normalen körperlichen Verfall sowieso schon geschieht. Und doch: Die ständigen Gänge zum Zigarettenautomaten und Rauchen raus auf den Balkon fehlen mir jetzt anscheinend zu meiner Fitness bzw. tragen deutlich zu meiner Fettness bei. Vier Kilo habe ich seit der allerletzten Aktiven zugelegt. Dafür zieht aber ein mehrstöckiger Treppenaufstieg nicht mehr automatisch die Netzer-Beuge nach sich. Jene signifikante Körperhaltung, die Günter Netzer in seiner aktiven Zeit typischerweise immer einnahm, wenn der Schnauf ihn quälte: den Oberkörper vorgebeugt und die Hände auf die Knie gestützt. So verhilft man der ausgepumpten Lunge leichter zu Luft und bekommt die nötige Puste.
Die ich aber 2005 so dolle gar nicht brauchte. In der beliebten sportlichen Disziplin „Letzten Bus kriegen“ war ich dieses Jahr zum Beispiel bestens aufgestellt. Entweder habe ich die letzten Abfahrten bequemen Schritts erreicht oder aber so deutlich verpasst, dass ich gleich ein Taxi nahm. Dafür stieß ich aber mal im Individualverkehr an meine sportiven Grenzen, als mein Citroën vor einer roten Ampel plötzlich ausging und partout nicht mehr anspringen wollte. Ich versuchte den Wagen von der Fahrbahn zu schieben, was sich aber wegen eines leichten Anstiegs der Straße als unmöglich erwies. Ein Taxifahrer war schließlich so freundlich mit anzupacken. Mir aber flatterten noch eine Stunde danach die völlig ausgepowerten Schiebemuskeln.
Ansonsten waren in 2005 keine außergewöhnlichen sportlichen Herausforderungen zu bewältigen. Lediglich jene Wanderung durch das herbstschöne Estetal von Bötersheim nach Hollenstedt scheint mir noch erwähnenswert. Das sind zwar keine zehn Kilometer. Wer die aber mit zwei unausgesetzt quengelnden Töchtern absolvieren muss, weiß hinterher sehr genau, was er geleistet hat.