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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf Kreuzkatholische Kickerei

Selbst der Bischof fragt sich: Was ist das Gegenteil von Abseits? Anseits? Gleiche Höhe? Oder doch: Kein Abseits?

Wer den heiligen Arbogast anruft, hofft auf Linderung von Fußleiden, Müdigkeit und Niedergeschlagenheit – vorausgesetzt natürlich, er glaubt an den Hokuspokus mit dem kanonisierten Kirchenpersonal. Bei einem katholischen Geistlichen kann man wohl getrost von solchem Gespensterglauben ausgehen. So dürfte das Ansinnen des Hamburger Erzbischofs Werner Thissen durchaus ernst gemeint sein. Dieser regte nämlich an, die bisher vakante Position eines Fußballheiligen mit ebenjenem sanktifizierten Fußpilzexperten zu besetzen.

Dank seines heilsamen Wundertums könne der Paradiesvogel Arbogast Spielern und Fans eine hilfreiche Stütze sein, ist sich Bischof Thissen sicher. Dabei könnten Spieler sicher viel dringender eine himmlische Protektion gegen ein zu frühes Gegentor gebrauchen. Und die Fans bräuchten eher was gegen Arschleiden. Denn wenn einen Stadionbesucher heutzutage nach 90 plastikharten Schalensitzminuten etwas schmerzt, dann bestimmt nicht die Füße. Die sind dann höchstens eingeschlafen, weil man sich in den engen Reihen, eingepfercht zudem zwischen möglicherweise calmundförmigen Sitznachbarn, kaum regen kann. Aber gut. Als Spezialpatron in Sachen Müdigkeit ist Arbogast sicher auch für den Weckdienst von eingeschlafenen Füßen zuständig.

Genauso wie für Niedergeschlagenheit, die Fußballfans ja tatsächlich blühen kann. Und das nicht nur, wenn sie aus Versehen in den falschen Block geraten und dort auf die Mütze kriegen. Derzeit reicht es doch beispielsweise schon, Fan des MSV Duisburg zu sein, um sich mächtig niedergeschlagen zu fühlen. Gemessen an der Tabellensituation dieses Vereins, nützt da auch der Beistand Arbogasts nichts mehr. Der konnte zwar zeitlebens (6. Jahrhundert) trockenen Fußes einen Fluss queren, wie kolportiert wird. Über seine Fähigkeiten als Punktelieferant ist hingegen nichts bekannt.

„90 Minuten – Anstöße eines Fans“ ist das jüngst ins Werk erlöste Büchlein betitelt, in dem Bischof Thissen nicht nur über die Nominierung eines Fußballpatrons meditiert. Insgesamt 90 fußballtheologische Impulse hat sich der bekennende HSV-Fan für seine schmale Fibel abgerungen, also für jede Spielminute einen. So fragt er sich etwa in Minute 49, wenn auch etwas seltsam umbrochen: „Manchmal frage ich mich: /Was ist das Gegenteil von Abseits? – /Anseits? /Einseits? //Anseits /ist ein komisches Wort. /Und doch / auch eine Art Antwort /auf die Frage: ‚Wo ist Gott?‘ / Könnte ich sagen / immer: /Anseits – // An deiner Seite.“ Könnte er allerdings auch „Gleiche Höhe“ sagen. Anseits jedoch geht gar nicht oder bestenfalls bloß als so ’ne Art Antwort durch. Schließlich weiß doch jeder, dass das Gegenteil von Abseits „kein Abseits“ ist.

Thissen aber meint nun mal, das rundweg weltliche Ballgeschehen auf Teufel komm raus kreuzweise befrömmeln zu müssen. Inspiriert zu seiner missionarischen Anflanscherei wurde er durch die bevorstehende WM sowie seinen „spielerischen Charakter“, welcher ihn, so Thissen gegenüber einer Hamburger Lokalzeitung, schon in früher Jugend so intensiv dem aktiven Ballspiel zugetrieben habe, dass seine Lehrer ihm prophezeiten: aus dem wird nichts. Womit sie ja auch Recht behielten. Zur Strafe muss er sich heute als Bischof durchschlagen und so was aus den Rippen leiern: „So wie der Ball ins Tor, gehört der Mensch zu Gott.“ Nicht nur Oliver Kahn dürfte das grundlegend anders sehen.

Es ist eben nicht ganz einfach, das klaren Regeln folgende Fußballspiel mit den kruden Religiösitäten eines Aberglaubens in Einklang zu bringen. Bischof Thissen hat denn auch sichtlich Mühe, seine katholische Gangart konsequent über die gesamten 90 Minuten zu gehen. Interviews mit Beckenbauer und Uwe Seeler werden über mehrere Minuten gestreckt, andere Hergeholtheiten, wie die christliche Viererkette („Glaube, Liebe, Hoffnung – und handeln“), in nur sekundenkurzen Andeutungen abgehandelt. In Minute 45 bleibt die Buchseite gleich ganz leer. Nur wer genau hinschaut, entdeckt diesen Hinweis: „Halbzeitpause – Raum für eigene Gedanken“. Danke auch. Aber die eigenen Gedanken habe ich mir zum Glück längst gemacht.