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Archiv-Artikel

herr k. macht einen aufguss Kochkurs im Töölönranta

Die Kritik von Athleten am Deutschen Leichtathletik-Verband ebbt nicht ab. Aber ist sie auch substanziell?

Das Ritual ist jeden Morgen gleich: Die WM-Berichterstatter, jedenfalls die aus Germany, treffen sich im feinen Restaurant Töölönranta, wo der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) sein Hauptquartier aufgeschlagen hat, trinken ein Tässchen Kaffee, schmieren sich ein Frühstücksbrötchen, und wenn sie sich all das einverleibt haben, kommt ein deutscher Leichtathlet vorbei zum Gespräch. Gestern zum Beispiel waren das unter anderem die Diskushünen Michael Möllenbeck und Lars Riedel, wobei vor allem Möllenbeck eine ganze Menge Fragen zu beantworten hatte, schließlich hatte er die Scheibe am Vorabend auf 65,95 Meter geschleudert und eine Bronzemedaille gewonnen. Es war am zweiten WM-Tag schon die zweite Medaille für einen deutschen Athleten, was eine ganze Menge guter Laune ins Restaurant Töölönranta gezaubert hatte.

Diese wiederum entsprach keineswegs den bisher gepflegten Gewohnheiten hier in Helsinki. Ganz im Gegenteil: Die Stimmung, vor allem bei den Herren vom DLV, war bisher eher mies, was in einem Interview begründet liegt, das die Speerwerferin Steffi Nerius einem Boulevardblatt gegeben hatte. Frau Nerius, die in Athen olympisches Silber gewonnen hatte, äußert sich darin offen und kritisch gegenüber dem Verband, vor allem dessen Präsident Clemens Prokop, von Beruf Amtsrichter. Er kommt darin nicht sonderlich gut weg. Kostprobe I: „Bei Prokop habe ich überhaupt nicht das Gefühl, dass er sich wirklich für die Leichtathletik interessiert.“ Kostprobe II: „Manchmal glaube ich, Prokop nutzt sein Amt nur zur Profilierung.“

Solche Äußerungen schlagen natürlich Wellen, zumal im Umfeld einer WM. Deswegen geben gewisse Medien den Sportlern ja Platz und Gelegenheit, sich derart in ihnen zu räuspern. Vor der Schwimm-WM war es Stev Theloke, nun ist es Nerius, beide Male war es das gleiche Blatt. Es steckt System dahinter – und natürlich kann man dieses System in Frage stellen. Andererseits: Wann sonst können Leichtathleten oder Schwimmer auf sich und ihre Probleme aufmerksam machen und werden von einer großen Öffentlichkeit gehört? Eben!

Dass die Geschichte von den anderen Medien nun aufgekocht und neu gewürzt wird, entspricht nur den Gepflogenheiten. Das Geschäft funktioniert nach diesen Rezepten. Diskuswerferin Franka Dietzsch wird beispielsweise von einem Radiosender danach befragt und sagt: „Da kann man noch 20 andere fragen und alle werden die Kritik bestätigen. Bis jetzt hat sich das nur keiner getraut zu sagen, weil niemand wusste, welche Konsequenzen das hat.“ Kugelstoßer Ralf Bartels antwortet auf die gleiche Frage: „Ich bin mit dem Präsidenten zufrieden, so wie ich ihn kennen gelernt habe.“ Auch Hürdensprinterin Kirsten Bolm wird zur Aussage gezwungen: „Steffi greift Dinge auf, die Thema sind im Team. Ganz an den Haaren wird das nicht herbeigezogen sein.“

So ging das hier die ersten Tage, und dass die Stimmung darüber nicht eben übergeschäumt ist vor lauter Frohsinn, versteht sich von selbst. Für den weiteren Verlauf der WM bleiben bis auf weiteres zwei Fragen: Wie weit wirft Steffi Nerius ihren Speer am nächsten Sonntag? Und was sagt der Präsident dazu?

FRANK KETTERER