heiligendamm wird von der ostdeutschen malaise eingeholt : Absturz vor dem Gipfel
Das hatte sich die Kanzlerin, die in Mecklenburg-Vorpommern politisch zu Hause ist, so schön vorgestellt. Zum G-8-Gipfel im Juni lädt sie ihre Kollegen aus aller Welt in ihre politische Heimat ein, ins Seebad Heiligendamm – um vor aller Welt, vor allem aber vor den deutschen Wählern zu demonstrieren, wie erfolgreich der Aufbau Ost doch vorangeschritten ist und welch famose Luxushotels an der Küste der einstigen DDR entstanden sind.
Und jetzt das: Der Gipfel wird von den ganz alltäglichen Problemen im Osten Deutschlands eingeholt. Wie bei vielen anderen Immobilienprojekten auch, droht der Betreibergesellschaft des Hotels finanziell die Puste auszugehen. Die Kosten der aufwändigen Sanierung werden durch die laufenden Einnahmen nicht eingespielt. Das Seebad hat sich nicht, wie erhofft, zum Magneten für Luxustouristen aus aller Welt entwickelt.
Als letzte Hoffnung haben die Betreiber nun auf das Gipfeltreffen gesetzt. Neben dem Werbeeffekt bietet ihnen das Ereignis einen willkommenen Anlass, gegenüber den lokalen Behörden endgültig ihren Willen durchzusetzen. Jetzt endlich dürfen sie das gesamte Gelände des historischen Seebads von der Außenwelt abschirmen und ausschließlich für die eigenen Gäste reservieren. Jetzt endlich dürfen sie die heruntergekommenen Villen aus dem 19. Jahrhundert abreißen, die das Hotel-Ensemble ihrer Ansicht nach störten.
Dabei machen die Hotelbetreiber denselben Denkfehler wie die Organisatoren des G-8-Gipfels: Das Vertrauen in die Politik wächst nicht durch Abschottung, sondern durch Offenheit; und die Attraktivität eines Seebads erhöht sich nicht durch dessen Verwandlung in eine sterile Retortensiedlung, sondern durch öffentliches Leben und behutsamen Erhalt historischer Substanz. Für die abgeschottete Luxus-Oase, von der die Hotelbetreiber träumen, kommt die betuchte Kundschaft nicht an die entlegene Ostseeküste. So ist die Fehlplanung, die Heiligendamm seit der Wende von 1989 begleitet, nicht nur ein politisches, gesellschaftliches und städtebauliches Desaster. Sie führt auch wirtschaftlich in den Ruin. RALPH BOLLMANN