harald m., ein älterer, zeigefreudiger herr von WIGLAF DROSTE
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Schiller, wie man weiß, litt an Wallensteinen. Das war nicht schön; weit schlechter aber geht es den Käufern des Berliner Tagesspiegel. Sie bekommen vom Lesen Martensteine. Die beschert ihnen der Holtzbrinck Verlag unter Zuhilfenahme eines zeigefreudigen älteren Herrn namens Harald Martenstein.

In seinen Texten nennt Harald Martenstein sich selbst „Martenstein“ und spricht über sich selbst stets in der dritten Person: Er, Martenstein. Napoleon-Komplexe sind Killefitt dagegen. Seine Kolumne nennt Martenstein im Ernst „Harald Tribune“, in der Typo des „Herald Tribune“. Er ahnt nicht, wie abgrundtief peinlich das ist. Damit Martenstein auf der Straße erkannt wird, klebt er über jede Kolumne ein Bild von sich ins Blatt. Das hat aber auch einen unbeabsichtigten Vorteil: Man kann das Bild in seinen persönlichen Radar einscannen und rechtzeitig Reißaus nehmen, wenn Martenstein-Alarm ausgelöst wird.

Als Martenstein fühlte, dass es mit seinem Kopf nun zügig ganz zu Ende ginge, ließ er noch einmal langes Haar darüber wachsen. Auf seinem Kinn drapierte er einen Schmutzfleck, den er irrtümlich für ein Bärtchen hält. Dergestalt als Grandpa-Slacker herausgeputzt, eiert er durch die Welt der Gala-Bewohner, in der er so gern jemand wäre, und sei es als ironisch tuende Karikatur eines Klatschkolumnisten. Das Ergebnis sind Depeschen von äußerster Nichtigkeit. „Eine Feinrippunterhose mit Eingriff kostet bei ‚Manufaktum‘ 29 Euro. Diese Zahl hat Dieter Kosslick in einem Interview auswendig gewusst.“ Damit wir wissen müssen, dass Harald Martenstein aber so was von dazugehört und sich dabei für komisch hält, hat Harald Martenstein diese Brosamen aufgeschnappt und notiert.

Die Methode Martenstein geht so: Ein substanzfreier Mann stellt sich auf den Markt und schreit: „Ich heiße Harald und habe Geltungsdrang! Und dass ihr es nur wisst: Das ist total unterhaltsam!“ Weise ignorieren das, Klügere enteilen, aber nach ein paar Jahren des Krakeelens bleiben doch ein paar Menschen stehen, die nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen. „Harald hat Geltungsdrang?“, plappern sie ihm hinterher. „Das ist ja hochinteressant.“ Es gibt in der Tat Deutsche, die sich von der Kotorgel Oliver Pocher oder eben von Harald Martenstein unterhalten fühlen. Das hat mit ihrem Unterhaltungsbegriff zu tun.

Man kann aber auch die Beine in die Hand nehmen, wenn man öffentlich belästigt wird. Oder, wenn man sehr gutmütig ist, alle paar Jahre nachkucken, ob sich etwas geändert hat. Es ändert sich aber nur der Grad der Aufdringlichkeit; da hat Martenstein noch Reserven. Und bosselt weiter an seinem Mausoleum. Es ist ein lichtloses Spiegelkabinett, in das kein Sternenfunkeln Eingang findet, kein Gedanke. Sondern immer und immer nur: Martenstein.

Kehren wir zum Anfang des Textes zurück, zu Wallenstein – über den der Volksmund reimte: „Spaß muss sein, sprach Wallenstein, und schob die Eier mit hinein.“ Das spielt in derselben Kinderkomik-Liga wie „Allah ist groß, Allah ist mächtig. / Wenn er auf den Stuhl steigt, ist er Einmetersechzig.“ Und ist damit doch weit unterhaltsamer als alles, was Harald Martenstein der Welt unbedingt dauernd mitteilen möchte.