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harald fricke über MärkteDer Rave ist noch nicht verloren

Flokatistulpen und Stringtangas werden langsam zu Geschichte – wirklich Pech für die Berliner Opernhäuser

Ein Vogel zwitschert, irgendwo in einem Baum sitzt er und verteidigt sein Revier. Das ist kaum einen Kilometer Luftlinie vom Tiergarten entfernt. Deutlich hebt sich seine Stimme vom Schnarren der Elstern und vom Rascheln der Kastanien längs der Mauern am Jerusalemfriedhof ab, fast jubelnd klingt der Ton: Die Love Parade ist vorbei.

Die Leute, die gern Vögeln zuhören, haben erleichtert festgestellt, dass der Techno-Umzug dieses Jahr kleiner war als in den vergangenen Sommern. Nun hoffen sie, dass bald Schluss ist mit dem ravenden Berlin. Dann brauchen sie sich nicht mehr über zu viel fremdes Volk auf den Straßen ärgern, über Pisse im Park und darüber, dass auf einer Veranstaltung von solchen Ausmaßen zu wenig über Politik diskutiert wird. Ihnen ist das niedrige Interesse an der Love Parade 2002 ein Zeichen: Die Spaßgesellschaft ist vorbei, in Zeiten von Kriegen, Mullahs und Teuros wäre jedes Bekenntnis zum Konsum ein Skandal.

Auch Hanns Peter Nerger wird sich nach dem letzten Wochenende umorientieren. Der Berliner Tourismuschef, der die Party bisher als Hauptstadt-Event vermarktet hat, weiß, dass die Love Parade ihren Zenit überschritten hat. 700.000 Raver wären in Städten wie München oder Hamburg zwar noch immer ein guter Grund für die Verhängung des Ausnahmezustands. Berlin aber sieht mit dem Schrumpfen der Szene eine Finanzkrise mehr auf sich zukommen – und zetert: Womöglich muss nun doch ein Theater oder eine der drei Opern geschlossen werden, weil das Geld der ravenden Society fehlt! In der BZ ein erboster Kommentar von Wagner: Dafür haben wir nicht in der ehemaligen Frontstadt an der Straße des 17. Juni gestanden und den Halbnackten auf Marlboro-, New-Yorker- oder RTL-II-Trucks zugewunken, als wären sie Kennedys Enkel.

Aber noch ist das Weltoffenheitshappening nicht verloren. Die Love Parade mag in ihrem Expansionsdrang nachgelassen haben. Doch in einem von Geschichtsverliebtheit regierten Berlin gibt es bessere Möglichkeiten, aus dem Ende der Spaßkultur Kapital zu schlagen. Zum Beispiel durch Historisierung: Schaut auf diese Stadt, in der schon 1989 für „Friede, Freude, Eierkuchen“ getanzt wurde, als Helmut Kohl noch Kanzler war und Jugoslawien ein Land hinter dem eisernen Vorhang! Das müsste die frohe Botschaft sein, mit der die Hauptstadtvermarkter zum großen Coup ausholen könnten – läge es nicht nahe, ein Rave-Museum am Ort der Täter zu bauen?

Berlin wird ein Stadtschloss bekommen, da dürfte es auch ein Haus der Geschichte des Techno vertragen. Gut ist für den Bau ein Architekt wie Frank O. Gehry geeignet, dessen Aluminiumfassaden hervorragend zu den futuristischen Gummiröckchen und silbernen Raver-Stiefeln passen. Natürlich wird es eine offizielle Ausschreibung geben, bei der diverse Clubbetreiber in der Jury sitzen und die Entwürfe nach völlig neuen Kriterien beurteilen: Ist die Akustik geil? Hat das Museum genügend Bässe? Vor allem, gibt es eine ausreichend abgeschirmte VIP-Lounge, in der sich Schröder/Stoiber/Westerwelle und Westbam treffen können, um die nächste Wahlparty zu organisieren?

Der Rest des Gebäudes ist ganz der Dokumentation der ravenden Gesellschaft gewidmet. Die AOK spendet ein Schränkchen mit Ecstasy, alte Flyer werden in Vitrinen ausliegen, vor denen Eltern ihren Kindern erklären: „Ich war dabei, als Happy Hardcore durch Breakbeats abgelöst wurde, ach, schön war die Zeit!“ An retro-gestylten Chromkleiderständern werden die besten Outfits hängen, mit denen Ravermäuse und desgleichen Mäuseriche auf die Parade zogen. Alle Schenkungen sind anonym. Links die selbst genähten rosa Flokatistulpen und der Ministringtanga einer unbekannten Friseuse aus Halle, die wegen ihrer blanken Titten 1999 gleich auf drei Titelblättern zu sehen war; rechts das legendäre Wikingercape eines Powerstep-Trainers aus Norddeich, der es mit seiner üppigen Brustmuskulatur sogar in Sabine Christiansens Love-Parade-Special: „Zwischen Pisa und Party – darf unsere Jugend auch eine Fünf in Mathe feiern?“ geschafft hat. Und dann, in einem mit schwarzem Samt verhängten Raum, nur von zwei Heliumlampen angeleuchtet: Dr. Motte, ganz aus Wachs. Lebensecht hält er eine seiner legendären Begrüßungsreden in Händen, während vom Band aus versteckten Lautsprecherboxen das Motto von 2002 zu hören ist: „Access Peace, Leute, nun gehet hin und lasst es krachen!“

Vielleicht ist zur Eröffnung des Hauses auch Hanns Peter Nerger noch im Amt. Dann wird er in seiner Laudatio davon sprechen, dass Berlin mit dem Raver-Museum eine spannende Einrichtung bekommen hat, die die Stadt in aller Welt wieder attraktiv machen kann und zeigt, dass eine Hauptstadt nichts ist ohne Image. Vielleicht wird ein auf Wunsch von Wirtschaftssenator Gysi aus Ibiza eingeflogener DJ Platten auflegen. Und Wowi wird endlich das tun, was er sonst nicht kann und soll. Tanzen.

Fragen zu Märkten?kolumne@taz.de

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