hamburger szene : Heilig in St. Georg
Da sitzt man also in St. Georg, nippt an Tee und Wässerchen und döst ein wenig. Fühlt sich geborgen zwischen den Fußball-Fans mit ihren Mützchen, Tüchlein, Umhängen; fast schon würde was fehlen, wären sie plötzlich weg. Berechenbar bunt ist das Leben in der Hansestadt seit WM-Beginn geworden; akzeptabel inzwischen auch für Außenstehende: Warum sollen sie nicht hupen und winken, wenn das so viele glücklich macht?
Derart versöhnlich gestimmt, hätte man sie fast übersehen, die unvermittelt um die Ecke biegende Fronleichnams-Prozession mit Priester und Weihrauch-Fass: „Großer Gott, wir loben dich!“, singen ein paar Dutzend Katholiken, kostümiert auch sie: Blauweiße Mutter-Theresa-Tücher sind da zu sehen, daneben fröhlich gewandete afrikanische und asiatische Geistliche. Auch Herren in recht merkwürdigen Kreuzfahrer-Umhängen haben sich unter die Schreitenden gemischt. Milde lächelnde Polizisten begleiten den Marsch; leichter dies, als Hooligans zu bändigen.
Und die Straßencafé-Klientel? Schweigt augenblicklich angesichts der geistlichen Gesänge, wird andächtig ob des unerwarteten Einbruchs des Heiligen in den profanen Alltag. Die Damen schauen verträumt, die Herren skeptisch-ethnologisch, und alle wünschen sich insgeheim nur eins: Sie noch einmal selbstvergessen mitsingen zu können, die alten Lieder – auf dass man die Zeit wieder erwecke, in der man noch ehrlich dachte, alles werde gut. Immer. PETRA SCHELLEN