hamburger szene : Saltatoria
Eine große Heuschrecke hat sich neulich auf die Fußmatte vor meiner Wohnungstür gesetzt. Sie sprach kein Wort, was mich verwunderte, denn es war früh am Morgen und gar nicht sicher, ob ich nicht noch träumte. Der Gedanke jedenfalls, dass die grüne Heuschrecke die vielen Stufen hinauf in die fünfte Etage gehüpft sein könnte – das musste sie bestimmt, denn einen Fahrstuhl gibt es in dem Haus nicht und die Fenster des Treppenhauses waren geschlossen –, ohne irgendein Anliegen an mich richten zu wollen, erschien mir widersinnig. Überhaupt forderte ihre Anwesenheit meinen schläfrigen Verstand heraus: Ich war in großer Eile und ohne Zeit, die Angelegenheit näher zu untersuchen, was die Irritation verstärkte. So schritt ich zügig, um den Kopf für den Tag zu schonen, über die große schweigende Heuschrecke hinweg aus dem Haus.
Nun ertappte ich mich bis zum Abend einige Male, wie ich mich fragte, ob die seltsame Zusammenkunft denn tatsächlich geschehen oder doch nur ein Traum gewesen sei; und als nach meiner Heimkehr das Insekt weder auf der Fußmatte saß noch andernorts zu finden war, beruhigte und verunsicherte es mich gleichermaßen. Dann kam der Abend des dritten Tages: Auf der Fußmatte lag leblos die Heuschrecke und schwieg. In der Gewissheit, nicht geträumt zu haben, hob ich sie auf. Seitdem sitzt die Heuschrecke auf meinem Bücherregal. Wenn ich sie anblicke, ertappe ich mich bisweilen bei der Frage: Träume ich noch? MJK