piwik no script img

Archiv-Artikel

grüne außenpolitik Fischer ist nicht Volmer

Jetzt hat die Opposition, was sie seit Wochen will. Nach dem Rücktritt des grünen Außenpolitikers Ludger Volmer am Wochenende sehen die Unionsparteien in der so genannten Visa-Affäre die Schusslinie frei für Attacken, die unmittelbar auf den Außenminister zielen. Vier Jahre nach der Debatte um Joschka Fischers Vergangenheit als Frankfurter Straßenkämpfer wittern sie eine zweite Chance, den populären Außenminister zu demontieren und die rot-grüne Koalition eines zentralen Stützpfeilers zu berauben.

KOMMENTAR VON RALPH BOLLMANN

Aus Sicht der Opposition ist das ein verständliches Interesse. Doch vermischt sie dabei zwei Sachverhalte, die ihrer Natur nach grundverschieden sind. Volmer trat wegen einer Affäre zurück, die diesen Namen tatsächlich verdient. In seiner Eigenschaft als Privatunternehmer versuchte er, den gleichen ausländischen Regierungen, mit denen er auch als Parlamentarier verkehrte, Aufträge der Bundesdruckerei aufzuschwatzen. So dreist, seinen politischen Gesprächspartnern RWE-Verträge anzudienen, war nicht einmal der frühere CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Auch dessen Parteifreundin Hildegard Müller hat nicht versucht, im Bundestag neue Kunden für die Dresdner Bank zu werben.

Etwas ganz anderes ist die Diskussion, die sich um die Visapraxis deutscher Botschaften rankt. Hier geht es nicht um eine „Affäre“, sondern um die sehr politische Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Recht auf Reisefreiheit und dem Bedürfnis nach Sicherheit. Die Idee, dass Ukrainer mal nach Deutschland reisen dürfen, ist so abwegig nicht – auch wenn es in der aufgeregten Debatte dieser Tage so erscheint. Dass die Bevölkerung von Kiew keineswegs nur aus Menschenhändlern und Zwangsprostituierten besteht, sollte aus den Tagen der Revolution in Orange vielleicht noch erinnerlich sein.

Damit schließt sich der Kreis zur Debatte um Fischer, den Steinewerfer. Auch vor vier Jahren ging es nicht um eine Affäre, sondern um Fragen der politischen Weltsicht. Wie Fischer damals politisch überlebt hat, so wird er es jetzt wieder tun – auch wenn der Umgang des Außenamts mit den Warnungen aus Kiew den Minister im Einzelnen in Erklärungsnot bringen mag. Allein mit Schweigen wird er allerdings nicht durchkommen. Wer eine Debatte verweigert, setzt sich ins Unrecht. Das hat der Außenminister, der sich heute endlich äußern will, reichlich spät erkannt.

brennpunkt SEITE 6