großraumdisco: Zwischen deutschen Nummernschildern
Das Rauschen des Atlantiks in allen Ehren, aber einfacher wird der Urlaub schon, wenn die andern auf dem Platz auch aus Deutschland kommen
Es ist ja nicht so, dass man nicht wüsste, wo man ist. Alle hier müssen irgendwie hergekommen sein, über Bordeaux oder mit der Fähre über die Gironde: frischer Wind vom Atlantik, hach, und da hinten der Leuchtturm, seht ihr? Die Straße schlängelt sich durch Pinienwälder, und dann das Schild: „Camping complet“.
Aber da steht eben auch: „Kompletter Campingplatz“. Weil: Wir sind zwar in Frankreich, aber irgendwie auch wieder nicht. In der Rezeption, natürlich, da sitzen jungen Französ*innen und verteilen Armbändchen an die Glücklichen, die reserviert haben. Das Putzkommando, das stundenlang die Waschhäuser sperrt, ist französisch, draußen, die Läden auf dem Weg zum Strand: französisch.
Der Platz selbst aber ist fest in deutscher Hand, Nummernschilder lügen nicht. Ach, schau an, die Nachbarn, die sich da so ein winziges Zelt aufgebaut haben, neben dem viele leere Bierflaschen liegen, sind drei Jungs aus Freiburg. „Hallo!“ – „Hallo.“ Ihre Boombox stellen sie leise, wenn sie überhaupt läuft, meistens tragen sie Kopfhörer.
Ihren Oberkörpern nach sind sie alle durchtrainiert, einer surft richtig hart, mit einem winzigen Brett, das spitz zuläuft, manchmal sieht man ihn, wie er Nudeln aus einem großen Topf in sich hineinschlingt. Die Jungs aus Freiburg kicken Bälle hin und her, abends verschwinden sie mit ihren Bierpaletten irgendwohin, wo die Party ist.
Der Müll liegt bei ihnen auf dem Platz herum. „Ich geh da jetzt hin und sag, dass sie aufräumen sollen!“ – „Nein, tu das nicht, das ist peinlich.“
„Guck mal da hinten, da sind wieder welche angekommen, die bauen ein großes Zelt auf!“ Das Zelt ist rund, abends zieht der Duft von Marihuana über die Plätze der Familien mit den kleinen Kindern, aber die sind ja tolerant. Nur diese Musik! Diese dumpfen Bässe! Das hört ja gar nicht mehr auf. „Das brauchen die wahrscheinlich, um sich gut zu fühlen.“ – „Mir egal, ich sag’bald was!“ Es ist dann ein Nachbar, der was sagt. „Ah sorry, na klar, tut uns leid.“
So ist das hier, alle sind nett zueinander. Goldig, diese kleinen Kinder, die am Weg ihre Stände aufgebaut haben und bemalte Steine verkaufen, 50 Cent das Stück. Nur? „Meine Mama hat gesagt, mehr soll das nicht kosten.“
Den Weg zum Strand, der Platz ist groß, nehmen die meisten mit dem Fahrrad, E-Bikes, Mountainbikes, Rennräder, manche mit Kinderanhänger oder Surfbrettanhänger, es gibt sogar Halterungen, bei denen das Surfbrett seitlich eingehängt wird. Toll!
Ein kleiner Junge rast einen Hügel hinunter und klingelt die Leute weg, sein Vater hinterher. Er sieht stolz und glücklich aus. Wie gut der Junge Fahrrad fahren kann!
Das Médoc liegt nördlich von Bordeaux zwischen der Atlantikküste und den Weinbaugebieten der Gironde.
Beim Bäcker wird’s dann manchmal kritisch, die Frauen da verstehen kein Deutsch, Finger werden ausgestreckt, um Zahlen anzuzeigen. Und dann sagen die Bäckerfrauen auch noch den Endbetrag auf Französisch, aber man kann ja mit einem Schein bezahlen.
„Entschuldigen Sie“, sagt eines Abends einer der jungen Franzosen, die die Ausgänge kontrollieren, „ich habe mal eine Frage: Warum sind auf dem Platz so viele Deutsche?“
Wir wissen es nicht, aber die, die schon als Kinder hier waren, erzählen, dass es schon immer so war. Die Deutschen waren sogar schon da, bevor es den Campingplatz gab. In den Dünen liegen noch die Trümmer einer Panzerstraße der Wehrmacht, die halb versunkenen Bunker unten am Strand sind mit Graffiti besprüht.
Die Landung der Alliierten fand dann doch woanders statt, und die Deutschen sind irgendwann zurückgekehrt, natürlich nur die guten Deutschen, also wir. „Wir hier sind doch entspannt“, sagt der andere Nachbar mit dem Wohnwagen aus Berlin. Die neueste Anfrage in der dem Campingplatz gewidmeten Facebook-Gruppe: „Ist zufällig noch jemand da, der mir eine Rippenblockade behandelt?“
Beim wöchentlichen Fest in dem nahen Dorf, dem der Campingplatz gehört, sind Stände aufgebaut, es gibt Meeresfrüchte, Ente mit Pommes und Couscous. Der DJ spielt „99 Luftballons“. Daniel Wiese
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen