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Archiv-Artikel

großbritannien Blair bleibt das Problem

Zweimal ist Tony Blair davongekommen. Knapp passierte sein umstrittenes Gesetz zur Erhöhung von Studiengebühren das Parlament. Und mit einem Freispruch in allen wesentlichen Punkten ging der britische Premierminister aus der Präsentation des Hutton-Untersuchungsberichts über den Selbstmord des Waffenexperten David Kelly hervor. Gemessen an den Erwartungen ist das ein historischer Sieg. Gemessen an den Erfolgserlebnissen der bisherigen Karriere Blairs ist es eine schmachvolle Niederlage.

KOMMENTAR VON DOMINIC JOHNSON

1997 trat er als glanzvoller „New Labour“-Reformer an, der die Stagnation der britischen Gesellschaft zu überwinden versprach. Heute befindet er sich in der gleichen glanzlosen Position wie zuletzt sein Vorgänger John Major: Blair muss um seine parlamentarische Mehrheit zittern, und sein guter Ruf hängt davon ab, ob ihm ein Untersuchungsrichter geneigt ist. Blairs schon abstoßend rechthaberischer Triumphalismus, als er sich gestern vor dem Unterhaus zum Sieger an allen Fronten erklärte, ändert nichts daran, dass er selbst nicht mehr Architekt seiner Siege ist.

Blair ist damit tief gesunken – obwohl die Labour-Partei eine gewaltige Mehrheit im Unterhaus hält und weiterhin in fast allen Meinungsumfragen führt. Sie kann ihm jetzt jederzeit die Unterstützung entziehen. Dass Blair die Stärke der eigenen Partei nicht mehr nutzen kann, sondern diese als Bedrohung ansehen muss, macht die eigentliche Schwäche des Premiers aus. Immer größere Teile der Partei halten ihren Führer inzwischen für das Problem – und nicht mehr für die Lösung des Problems.

Wie jede Labour-Regierung Großbritanniens vor ihr hat auch diese in ihrer zweiten Legislaturperiode angefangen, vorzugsweise die eigenen Probleme zu verwalten, statt diejenigen des Landes zu lösen. Und die britische Öffentlichkeit zeigt sich immer deutlicher des Premierministers überdrüssig. Indem Blair den traditionell bedächtigen Labour-Reformismus hinter visionären Erwartungen verbarg, um ihn wählbar zu machen, hat er Enttäuschungen geradezu heraufbeschworen – und sein Taktieren vor dem Irakkrieg hat ihn unglaubwürdig gemacht, was er bis heute nicht wahrhaben will.

Die nächste Palastrevolte und der nächste Skandal – egal um welches Thema es geht – sind nur eine Frage der Zeit. Tony Blair ist ein Premierminister auf Abruf; seine Zeit geht zu Ende. Möglicherweise ist er selbst der Letzte, der es bemerkt.