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Archiv-Artikel

grappa ist besser als beethoven von RALF SOTSCHECK

Über Geschmack lässt sich wunderbar streiten. Vorgestern war es genau 30 Jahre her, dass die letzte Platte der „Mothers Of Invention“, jener genialen Band von Frank Zappa, erschienen ist: „One Size Fits All“. Eben nicht: Die Zappa-Einheitsgröße passt keineswegs allen, schon gar nicht meinem Freund Liam Casey.

Neulich hatte er mich zum Essen in sein Haus eingeladen und holte mich pünktlich ab, da ich kein Auto besitze und öffentliche Verkehrsmittel in der kleinen Ortschaft, in der er wohnt, nur zweimal in der Woche verkehren. Nach den wunderbaren Frühlingsspaghetti, die Liam mit viel Knoblauch gekocht hatte, öffnete er eine Flasche Wein und legte Musik auf: Beethovens Fünfte.

Ich kam auf Zappa zu sprechen und bedauerte, dass er vor zwölf Jahren an Prostatakrebs gestorben ist, obwohl er frühzeitig gewarnt sein musste. Er hatte nämlich bereits 1981 den Song geschrieben: „Why does it hurt when I pee?“ Wenigstens habe seine Witwe Gail Zappa noch genügend Material für 100 weitere Platten, sagte ich und meinte, das sei doch eine gute Nachricht. Liam fand das überhaupt nicht. Selbst wenn man Zappas Musik nicht möge, fügte ich unter fahrlässiger Missachtung von Liams zorngeschwollenen Adern hinzu, so müsse man doch zugeben, dass er einer der größten Musiker des 20. Jahrhunderts gewesen sei.

Nun war es um Liams Fassung geschehen. Ob ich närrisch sei, wollte er wissen. „Als Nächstes behauptest du noch, er sei so gut wie Beethoven“, schnauzte er mich an. „Ich hatte eigentlich vom 20. Jahrhundert gesprochen“, erwiderte ich. „Aber jetzt, da du es erwähnst, muss ich dir Recht geben: Er ist nicht nur genauso gut wie Beethoven, sondern sogar besser.“

Ich war zu weit gegangen. Liam beorderte mich in sein Auto, bevor ich den Wein ausgetrunken hatte, und fuhr mich nach Hause – das heißt, er raste die Landstraße wutentbrannt in einem solchen Tempo entlang, dass mir angst und bange wurde. „Zappa ist ein Scharlatan“, schrie ich, „und jetzt fahr bitte langsam.“ Es nützte nichts, die Höllenfahrt ging weiter. Aber sie dauerte nicht lange. Es war, als ob Liam mich nach Hause gebeamt hätte.

Am nächsten Tag erzählte ich unserem gemeinsamen Freund Klaus-Thomas Mann von dem Abend. Er ist ein kulinarisches Genie und denkt unentwegt an die nächste Mahlzeit sowie den nächsten Hochprozentigen, hat aber einen eigentümlichen Musikgeschmack. Umso überraschter war ich, als er mir beipflichtete. „Natürlich ist er besser als Beethoven“, sagte er und lud Liam und mich zum Versöhnungsessen ein.

Um ein wenig Öl ins Feuer zu gießen, brachte ich zum Essen eine Zappa-Scheibe mit und wollte sie in den CD-Spieler schieben, als Klaus-Thomas mich gewaltsam daran hinderte. „Zappa“, japste er. „Ja, bist du noch bei Trost? Dieser Schrott kommt mir nicht in mein Gerät.“

Nun war ich verwirrt. Hatte er mir gegenüber am Telefon nicht den Eindruck erweckt, dass ich in ihm einen musikalischen Verbündeten habe? Langsam ging Klaus-Thomas ein Licht auf. „Du hast am Telefon von Zappa gesprochen“, sagte er. „Ich habe immer Grappa verstanden. Und mein Grappa kann sich in der Tat mit Beethoven messen.“