gottschalk sagt : Wie bei der Gerichtsshow
CHRISTIAN GOTTSCHALK: Die Kolumne am Donnerstag
Vor einigen Jahren haben Untersuchungen ergeben, dass viele Bürger Angst davor haben, vor Gericht als Zeuge auszusagen. Vor allem fürchteten sie sich vor dem Kreuzverhör. Das gibt es zwar an deutschen Gerichten nicht, damals bezog man seine Kenntnisse über Gerichtsverhandlungen aber vorzugsweise aus amerikanischen Serien und Filmen. Dort gehen Anwälte lamentierend mit wehender Krawatte auf und ab und kennen einen ganz fiesen Trick: das blitzartige Umdrehen, um dann mit dem Zeigefinger in Richtung Zeuge zu stechen und dabei die alles entscheidende Frage zu stellen.
Heute bezieht der Bürger sein Wissen über das Rechtswesen aus Gerichtsshows. Richter berichten, dass, seit Gerichtsshows im deutschen Fernsehen laufen, häufiger bei Gericht geweint wird. Aber in Gerichtsshows wird ja nicht nur geweint, gebrüllt und sich furchtbar aufgeregt, nein, es gibt immer die überraschende total unrealistische Wendung: Plötzlich, so ziemlich gegen Ende des Prozesses, taucht wie aus dem Nichts ein ganz wichtiger Zeuge auf oder ein alle in Erstaunen versetzendes Beweismittel. Oder aber ein Zeuge gesteht unter Tränen, das doch alles ganz anders war und er gelogen hat. Total unrealistisch eben.
Was sich aber nicht einmal die wenig zimperlichen Autoren von Gerichtsshows ausdenken würden, ist folgende Variante: Ein großer Korruptionsprozess nähert sich seinem Ende. Für den Angeklagten Norbert R. sieht es nicht gut aus. Hat er mit Schmiergeld einen Wahlkampf finanziert? Alles spricht dafür, seine Verurteilung scheint sicher. Dann die völlig überraschende Wendung: Plötzlich kommt die Polizei mit 30 Kartons voller neuer Beweismittel vorbei. 30 Kartons! Total unrealistisch! Wenn das wirkliche Leben sich jetzt neuerdings an Gerichtsshows orientiert, geht es so weiter: Norbert R.‘s heimliche Ex-Geliebte gesteht, dass sie den kompletten Müllskandal eingefädelt hat, um sich an ihm zu rächen. Sie schildert ihr geniales Vorgehen („Eisermann war Wachs in meinen Händen, ha!“). Der Staatsanwalt gesteht unter Tränen, dass er die Beweise zurückgehalten hat, weil er als Kind von seinen eigenen Eltern bestochen wurde. Und zwar mehrmals. Nun kann auch Eisermann nicht mehr an sich halten und schluchzt: „Alles futsch. Das schöne Geld!“ Abspann.