gottschalk sagt : Nazis werden aus Versehen gewählt
CHRISTIAN GOTTSCHALK: Die Kolumne am Donnerstag
Ich habe gewettet, dass die Braunen nicht in den Kölner Rat kommen. Ich kann mir nicht so richtig vorstellen, dass eine Gruppe, die zu ihren Demos Neonazis aus dem Ruhrgebiet importieren muss, 1,2 Prozent der Stimmen bekommt. Denke ich mal so. Und hoffe natürlich, dass ich Recht behalte. Nicht nur wegen des Wetteinsatzes. Wenn ich verliere, muss ich ohne Presseausweis zur Demo und Parolen mitrufen. Vielleicht sind ja wieder die lustigen Jungtürken da, Spezialisten im Nazis beschimpfen. Dann mache ich bei der Parole „Eure Eltern sind Geschwister“ sicher gerne mit. Wenn ich verliere, hat natürlich ganz Köln verloren, und die Demokratie und alles. Komischerweise werden ja alle Parteien von ihren Anhängern gewählt, außer den Nazis. Die werden von Protestwählern gewählt oder von Leuten, die auf „die rechten Rattenfänger“ reingefallen sind.
Nazis werden hauptsächlich aus Versehen gewählt. Vermutlich weil ihre Wahlwerbung so irre subtil ist. Wenn man da nicht studiert hat, kapiert man das ja gar nicht. Dann leidet man noch an dieser schlimmen Ausländerangst, hat keine Arbeit – und schon hat man die Nazis gewählt.
Übrigens gibt es auch außerhalb von Wahlzeiten Nazis. Sogar in Köln. Ein mir bekanntes Mitglied der hiesigen Naziszene zum Beispiel habe ich neulich beim Lidl gesehen. Er trug das T-Shirt seiner Bewegung. Wir schauten uns an, und kurz wurde es sehr kalt neben der Tiefkühlkost. Mal unter uns, was macht man in einer solchen Situation? Was ist nicht peinlich? Soll man „Faschist“ zischen, mit Konserven werfen, rufen „Du wirst es büßen, wir sehen uns bei den Gemüsen“ oder „Mit dem Stornoschlüssel kriegt er auf die Schüssel“, sich in Nonfood-Ecken verstecken, neben Kühlregalen mit seinen Kräften prahlen oder beim Lidl eine spontane Antifa-Demo organisieren? Mit Frau Müller von „Filialleiter gegen rechts“? Ich bin ratlos. Wer gute Vorschläge zum Umgang mit Nazi-Begegnungen im Alltag hat, schicke die bitte an die taz.
Nazis können übrigens ziemliche Spaßverderber sein. Gestern belauschte ich Erstwähler, die sich Kinotipps gaben. „Der Untergang“, vom Kollegen M. auch gerne „Die Klimbim-Familie im Führerbunker“ genannt, solle man sich nicht angucken, meinte eine Frau. Doch, könne man schon, meinten ihre Kumpels. Ja, schon, gibt sie zu, „aber nicht, wenn man Spaß haben will.“