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Archiv-Artikel

gottschalk sagt Eine Reise in die Kindheit

CHRISTIAN GOTTSCHALK: Die Kolumne am Donnerstag

Wie so viele Leute werde ich morgen zu meinen Eltern fahren. Wie so viele Eltern wohnen die in der Provinz, in einem Dorf in der Eifel nämlich. Zum Glück ist das aber nicht die Gegend, wo ich weg komme. Meine Eltern sind da später hingezogen. Als ich letztes Jahr am Vormittag des heiligen Abends am Hauptbahnhof einen alten Bekannten traf, fragte der mich: „Fährst Du auch nach Hause?“ Was mich erst mal verwirrte, denn da kam ich ja gerade her. Dann verstand ich, dass er den Ort meinte, wo seine Eltern herkommen und wo er aufgewachsen ist.

Ich finde es entspannend, dass ich, wenn ich meine Eltern besuche, nicht an die Stätten meiner Kindheit zurückkehre. Ich treffe keine Mitschüler, die im Dorf geblieben sind, und da ist kein Rodelberg, der mir plötzlich so klein vorkommt. Und auch keine Schaukel, an die mich die Jungs von der Realschule gefesselt haben.

Im Eifelexpress habe ich immer das Gefühl, vielen Menschen macht es etwas aus: das „nach Hause fahren“. In Köln sind sie als lässige Metropolenbewohner, als Leute, die coole Kneipen kennen, als das, was auf ihrer schön gestalteten Visitenkarte steht, in den Zug gestiegen.

Hinter Euskirchen geht es los. Von Station zu Station verwandeln sie sich zurück: in den Typen aus Blankenheim, der kein Mofa hatte, den Jungen, der die Pullover seiner Schwester auftragen musste, das Mädchen, das eine Niete in Sport war und ein Anti-Schiel-Pflaster tragen musste, den unsicheren schwulen Jugendlichen, für den Köln ein fernes Versprechen war.

Wenn sie Pech haben, haben ihre Eltern die alten Jugendzimmer konserviert, in denen Pressspanschränke mit lustigen Aufklebern drauf stehen. Und nun liegt auf dem wackeligen Schreibtisch die moderne Eastpak-Tasche, aus der das Geschenkpapier lugt und sagt: Keine Sorge. Du bist nicht mehr der, der Du mal warst. Du bist jetzt selber erwachsen und hast ein selbstbewusstes Auftreten, meistens. Stimmt, seit ein paar Jahren wissen Deine Eltern sogar, dass Du rauchst.

Wenn ich zurück fahre, ist der Zug meist eher leer. Und mir ist etwas schlecht von den vielen Süßigkeiten, trotzdem kann ich während der Fahrt nicht die Finger davon lassen. Soviel zum Thema: Du bist nicht mehr der, der Du mal warst.