gottschalk sagt : Nervenstark bis zum letzten Loch
Die WM hat auch positive Seiten. Sehr empfehlen kann ich, während der Spiele der Nationalmannschaft mit dem Fahrrad durch unsere Großstädte in NRW zu fahren. Kurz fragt man sich, ob man eine groß angelegte Evakuierung verpasst hat, ob man sich besser im Kaufland vor den Zombies verstecken sollte, oder ob einfach nur die Uhr sieben Stunden nach geht, bis einem einfällt: Ach ja, wir spielen ja heute. In den Wohngebieten und den B-Zentren herrscht eine eigenartig verzauberte Stimmung, wenn sich alle zu Hause, in Kneipen oder vor Großbildleinwänden (gibt es eigentlich auch Kleinbildleinwände?) aufhalten, anstatt geschäftig umeinander zu laufen, sich was zu kaufen oder in ihren Autos rumzufahren. Ab und zu kommen Geräusche aus den Häusern, die den Spielverlauf erahnen lassen, ansonsten ist es ruhig. So rollt man, nur den Wind und das Klickern der Kettenschaltung in den Ohren, durch menschenleere Straßen, denkt sich: Wie gut, dass mir so vieles egal ist, und summt eine verträumte Weise.
Beim wichtigsten Turnier des Jahres belegte am vergangenen Donnerstag übrigens Christian Gottschalk einen souveränen 5. Platz und verwies seine Lebensgefährtin, eigentlich eine brandgefährliche Spielerin, völlig zu Recht auf die hinteren Ränge. In der ersten Runde auf der wunderschönen Miniaturgolfanlage des KMC in Köln-Ehrenfeld zeigte er mit 46 Schlägen noch deutliche Schwächen, doch in der zweiten Runde bewies der alte Routinier seine legendäre Nervenstärke, glich durch elegante Asse unter anderem an anspruchsvollen Bahnen wie dem „Teller“ und das „Labyrinth“ (das er übrigens nicht über Bande, sondern direkt spielte) schwächere Leistungen (vier Schläge am „Hügel“ und vier am „Auflaufkeil mit Mitteldurchlass“, dem „Favoritentöter“) aus, so dass er die 18-Loch-Anlage nach 42 Schlägen verließ. Auf die erste Runde angesprochen, sagte Gottschalk: „Vielleicht hätte ich doch eher mit Bier trinken anfangen sollen, aber ich war mir unsicher, ob ich dann die Spannung bis zum Ende der zweiten Runde würde halten können.“ Bei der anschließenden Siegesfeier äußerte sich Gottschalk zu fortgeschrittener Stunde zu seiner sportlichen Zukunft: „Nächstes Jahr mach‘ ich den Vierten, Prost ihr Heckenpenner!“
Am folgenden Morgen hatte auch ich eine Fahne, doch soviel sei verraten, schwarz-rot-gold war sie nicht. Etwas enttäuscht in Bezug auf die WM 2006 zeigte sich übrigens ein junger Kölner Türke: „Scheiße, WM im eigenen Land, und wir sind nicht dabei!“
Fotohinweis: CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz