gottschalk sagt : Pleitgen, ich und der Opel Zafira
Eigentlich müsste ich das Thema erst in 14 Tagen behandeln, aber ich habe furchtbare Angst, dass ich es vergesse. Und dann kriege ich richtig Ärger, und zwar zu Recht. Obwohl, eigentlich bin ich zu aufgeregt, um es zu vergessen. Außerdem wird es natürlich rauschen im Blätterwald, wie man so schön sagt, die internationale Presse wird sich bildlich gesprochen gegenseitig auf die Füße treten und sich dabei die sprichwörtliche Klinke in die Hand geben. Blaskapellen werden spielen, und Jürgen Rüttgers wird vor zehntausenden begeisterten Bürgern eine seiner berühmten mitreißenden Reden halten. Wir werden alle total ausklinken, in Remscheid wird auf den Straßen getanzt, ich hörte, in Herford soll Champagner in die Wasserleitungen gespeist werden, die Mülltonnen werden auf Hochglanz gebracht, es gibt Würstchen mit Kartoffelsalat für alle, ein Land im Ausnahmezustand: Nordrhein-Westfalen wird 60. Unser liebstes Bundesland hat am 23. August Geburtstag. Ich werde auf dem Balkon die Landesfahne hissen.
Nun, wir wissen alle, die Wirklichkeit ist ein klein wenig trister. Aber das mit den Blaskapellen stimmt. Ideen oder auch Verwaltungseinheiten, die beim Bürger nicht so richtig gut ankommen, brauchen Menschen, die sich in besonderem Maße für sie einsetzen. Europa zum Beispiel. Der Bürger denkt an die europäische Lüsterklemmenverordnung und an polnische Handwerker und wünscht sich die D-Mark zurück, weil wir früher alle doppelt so viel Geld hatten. Für den „Europa-Gedanken“ interessiert er sich kein Stück. Damit sich das ändert, gibt es „die großen Europäer“. Gibt man bei Google „ein großer Europäer“ ein, findet man sie alle: Kohl, Grass und den Fiat Punto.
Wir brauchen also „große Nordrhein-Westfalen“, und ich habe einen gefunden. Erst vorgestern gab er der taz nrw ein Interview, das dermaßen gut war, das es tags darauf (zumindest in der Online-Ausgabe) ausführlich im Kölner Stadt-Anzeiger zitiert wurde, der ja sonst keine anderen Zeitungen neben sich duldet. Fritz Pleitgen. Er sagte gegenüber der taz nrw: „Ich bin ein nordrhein-westfälischer Patriot. Ich bin mit den Verhältnissen hier sehr zufrieden.“ Und: „Dass der Bindestrich zwischen Nordrhein und Westfalen gedanklich weg ist, ist auch ein Verdienst des Westdeutschen Rundfunks.“ Genau, ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Man denkt es ohne Bindestrich, schreibt es aber mit.
Ich will jetzt auch „ein großer Nordrhein-Westfale“ werden. Wenn Sie es nächstes Jahr googlen, finden sie uns: Pleitgen, mich und den Opel Zafira.
Fotohinweis: CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz