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Archiv-Artikel

gott trinkt sonntags nie von RALF SOTSCHECK

Als die Maschine zur Landung auf dem Belfaster Flughafen ansetzte, meldete sich der Kapitän über Lautsprecher: „Wir werden in Kürze in Belfast landen. Bitte stellen Sie Ihre Uhren um 300 Jahre zurück.“ Das ist 15 Jahre her. So mancher nordirische Politiker lebt heute noch im 18. Jahrhundert.

Ian Paisley zum Beispiel. Bei dem bollerigen Pfaffen, der nicht nur seine eigene Partei, die Democratic Unionist Party, gegründet hat, sondern auch seine eigene Freie Presbyterianische Kirche, ist mit 77 Jahren nichts von Altersweisheit zu spüren. Vor acht Tagen trugen die Ulster Tigers, das nordirische Rugbyteam, erstmals ein Heimspiel an einem Sonntag aus. Der Mammon war schuld, das Privatfernsehen zahlte gut für die Übertragungsrechte und hatte auf den Sonntagstermin bestanden.

Das passte dem Pastor nicht. Er scharte 24 Jünger um sich und schwenkte vor dem Stadion Protestplakate: „Der Sabbat ist heilig! Suchet den Herrn, solange man ihn noch finden kann.“ Hat er denn vor, unterzutauchen? „Das Leben ist vorübergehend, die Ewigkeit ist für immer“, klärte Paisley einen Rugbyfan auf und fragte ihn: „Hast du nicht deine Prioritäten falsch gesetzt?“ Dass von dem erhofften Massenprotest nur ein paar traurige Gestalten übrig waren, störte Paisley wenig. „Gott hing schließlich auch allein am Kreuz“, sagte er. „Keiner unterstützte ihn. Die Menschen kümmern sich nicht um die Schriften. Wenn man sie in Versuchung führt, erliegen sie ihr.“

Verschärfend kam hinzu, dass das Rugbyspiel von der Brauerei Heineken gesponsert wurde. Gegen die hat Paisley schon mal den Kürzeren gezogen. Damals, in den Siebzigerjahren, gestattete die Regierung den Wirten erstmals, ihre Kneipen auch am Sonntag zu öffnen. Paisley stellte sich daraufhin monatelang jeden Sonntag vor eine Kneipe und drohte den treulosen Trinkern mit dem Teufel. Gott habe am Sonntag schließlich geruht, wetterte Paisley, und nicht getrunken. Hat er denn an den anderen Tagen getrunken?

Einmal besuchte ich einen Gottesdienst in Paisleys Kirche hinter der Ormeau Bridge in Belfast. Der Reverend malte lautstark ein düsteres Bild, in dem es von Pech und Schwefel und Verderben nur so wimmelte. Mitten in der Predigt entdeckte er mich, einen Fremden. Er zwängte sich in die Bank vor mir, blickte von seinen gut 1,90 Metern auf mich hinab und fragte, wo ich herkäme. Kaum hatte ich geantwortet, brüllte er mich aus Leibeskräften an: „Glaubst du an Gott?“ Jetzt den Kopf zu schütteln, hätte unweigerlich mein vorzeitiges Ende herbeigeführt. Ich war mir sicher, dass ein Sortiment vernichtender Blitze im Talar versteckt hielt. Ich nickte vorsichtshalber.

Paisley wandte sich seiner Gemeinde zu und schrie: „Habt ihr das gehört? Er glaubt an Gott!“ Die Gemeinde erhob sich und schmetterte mir ein dreifaches „Halleluja“ entgegen. Es war wie in einem Monty-Python-Film. Ich war jedoch froh, als er zu Ende war. Hätte der fromme Freak gewusst, dass ich mich von seiner Kirche schnurstracks in den nächsten Pub begab, um mich so schnell wie möglich vom Schock- in den Rauschzustand zu befördern, hätte er mir sicher schleunigst noch ein paar Blitze hinterhergeschickt.