gesundheitsreform : Nicht mehr als Murren
Es ist ein Phänomen: Da werden die Patienten zur Kasse gebeten, während die Ärzte und ihre Funktionäre unbehelligt bleiben – und niemand regt sich bisher auf. Ja, gut, es gibt genau die Proteste, die zu erwarten sind. Die SPD-Linke hat Einwände, die Verbraucherschützer, die Gewerkschaften. Aber das wirkt eher wie ein Ritual, nicht wie eine neue Volksbewegung.
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Warum also kein Protest? Die Deutschen können sich doch sonst so herzhaft empören, wenn sie plötzlich mehr bezahlen sollen. Man erinnere sich an die „Benzinwut“, die dazu führte, dass die Entfernungspauschale drastisch stieg. Oder an die spontane Aktion „mein letztes Hemd“ im vergangenen Herbst, als das Kanzleramt viel unerwünschte Wäsche erhielt. Oder an den „Steuersong“, der es prompt zum Weihnachtshit brachte.
Aber die Deutschen protestieren nicht immer. Sie sind sehr wählerisch, was sie als Missstand betrachten. Einen spektakulären Protestflop musste gerade der DGB einstecken: Nur 90.000 Bürger bemühten sich bundesweit auf die Straßen, um gegen Schröders Reformagenda 2010 zu demonstrieren. Und bekanntlich war das Mitgliederbegehren der SPD nicht erfolgreicher.
Aus der Individualpsychologie ist bekannt, dass die Menschen „Konten im Kopf“ führen. Das sieht so aus, dass man gern auch ein bisschen mehr im Restaurant ausgibt – aber wehe, die Milch wird zehn Cent teurer. Allerdings führt jeder Mensch diese Konten anders. Manche würden gerade beim Restaurant sparen, aber nicht bei den Bioäpfeln.
Was die Gesundheitsreform nun vorführt: Es gibt auch kollektive Konten. Die allermeisten scheinen sich einig zu sein, dass es in den Praxen zugehen darf wie für einige im Restaurant: Macht nichts, wenn der Kellner ein bisschen zu viel einsteckt – oder in diesem Fall der Arzt, Hauptsache er hilft.
Die Großzügigkeit könnte auch damit zusammenhängen, dass es virtuelle Konten sind, die da geführt werden. Daneben existiert ja noch ein ganz reales bei der Bank. Und da werden demnächst ganz real ein paar Euro mehr eingehen, wenn das Gehalt fällig wird. Die neue Praxisgebühr hingegen ist vorerst fiktiv.
Aber vielleicht findet sich noch jemand, der es mit seinem Sozialsong in die Hitparaden schafft. Gelingt das nicht, geht es weiter wie bisher. Die Kosten im Gesundheitswesen steigen, die Effizienz bleibt gering, die Patienten zahlen weiter drauf, und die Ärzte verdienen maximal abgesichert immer mehr.