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Archiv-Artikel

fußpflege unter der grasnarbe Schüsse und Schmerzen

Vor Gericht und auf hoher See, heißt es, ließe sich nur auf Gott vertrau‘n. Zumindest Zweifel an den irdischen Instanzen kamen beim TSV Sasel auf, als ein Spieler ihres Oberliga-Teams Ende Januar zunächst für 18 Monate gesperrt wurde. Wieder einmal waren ein Spieler und ein Schiedsrichter aneinander geraten. Stürmer L. ist Goalgetter bei den Saselern, ein engagierter Kicker, den nur impulsiv nennen könnte, wer ihm etwas Schlechtes wollte. Zum Engagement gehört auch der eine oder andere Kommentar zum Spielverlauf, alles nach dem Motto „Der tut nichts, der will nur sabbeln“. Wann Schweigen Gold ist, weiß L. besser als viele andere: Eine rote Karte hat er bis zum 7. Januar 2004 noch nicht gesehen.

An diesem Tag hat Schiedsrichter B. Geburtstag und pfeift das Finale eines Hallenturniers. B. ist ein junger Referee, der nahezu überall in den höchsten Tönen gelobt wird – eine Zukunftshoffnung des Hamburger Schiedsrichterwesens, bestimmt für höhere Aufgaben. In Western wären L. und B. nur als Good Guys zu besetzen.

Doch wir sind nicht im Saloon des „Western von gestern“, sondern in der Sporthalle. Sekunden vor Schluss hat Sasel das entscheidende Gegentor eingefangen. L. drischt den Ball frustriert in die Prärie und trifft B. dort, wo es am meisten weh tut. B. sinkt jedoch nicht in den Hallenstaub, sondern zeigt L. noch die rote Karte, bevor die Schlusssirene die Szenerie beendet. Ein Duell, dass B. nicht als Verlierer beenden wollte.

Bewusstes Attentat auf den Schiedsrichter oder unglückliche Folge einer Frust-Aktion?, lauteten die Fragen für das das Sportgericht des Hamburger Fußball-Verbands ganze neun Minuten im ersten Verfahren brauchte, um L. bis zum 7. Juli 2005 aus dem Verkehr zu ziehen. Bei der Berufungsverhandlung vor dem Verbandsgericht dauert die Beweisaufnahme dann eine volle Stunde. Konnte L. den Schiedsrichter sehen, als er zum Schuss ansetzte? Dass der Entertainer Frank Sinatra in allen Lebenslagen empfiehlt, das Kinn gen Himmel auszurichten, ist an L. – in diesem Fall glücklicherweise – vorbeigegangen: „Es ist leider eine schlechte Angewohnheit von mir, den Kopf hängen zu lassen, wenn es nicht so gut läuft.“ B. hält dagegen: „Aus meiner Sicht schoss er kontrolliert.“ Er sei „glücklich“ gewesen, L. nach dem Treffer noch Rot zeigen zu können.

Sasels Anwalt lässt die Aussage ins Protokoll aufnehmen und zückt einen Screenshot von B.s Homepage. Auf der Startseite befindet sich ein Spielszenen-foto von B., auf dem ausgerechnet auch L. zu finden ist. Purer Zufall, beteuert B. Die Gegenthese: B. habe persönliche Animositäten mit L. Die Nachfrage ob B. seinen Geburtstag – er hätte nach der Karte gegen L. ja vielleicht doppelten Grund zum Feiern gehabt – noch auf dem Kiez gefeiert habe, wird vom Gericht abgewiesen.

Dann steht Zeuge D., Trainer eines am Turnier beteiligten Teams, auf und schildert wortreich seine Sicht der Dinge. „Ich hab‘ bestimmt schon 20 Bälle in den Unterleib bekommen“, berichtet D. aus bewegter Fußballer-Zeit, „und ich brech‘ jedenfalls zusammen dabei.“ Seine Schilderung, der Schiedsrichter sei in L.‘s Schuss hineingelaufen, mag das Gericht nicht teilen.

Aber weil es „viele Dinge gehört hat, die außerhalb des Spiels lagen“, folgt das Gericht weitgehend L.‘s Schilderung und unterstellt ihm keine Absicht mehr, nur noch bewusste Inkaufnahme.

Die Sperre wird von 18 auf neun Monate reduziert, für den Vertragsamateur L. mit Nebenverdienst Fußball ein wichtiger Teilerfolg. Gegen das Urteil ist keine Berufung möglich.