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Archiv-Artikel

frau schwab steht unter bäumen Hinter den Ministerien

Besser behielten die Bäume ihr Kleid an. Aber das Wasser fehlt, die Hüllen fallen

Selbstmitleid angesichts der Berliner Sommerhitze ist eins. Zwar ist das völlig unangebracht, da es Lebensumstände gibt, die viel heißer sind als jene in der deutschen Hauptstadt, aber Selbstmitleid hat sich eben noch nie am Weltgeschehen orientiert.

Bleibt, als Zweites, Mitleid. Das soll zwar genauso unproduktiv sein wie das Erbarmen mit sich selbst, aber es orientiert sich an der Wirklichkeit. Allerdings mit Vorliebe an der, auf die der Mitleidende in seiner hautnah erlebten Wahrnehmung trifft. Deshalb, nur deshalb dreht sich dieser Text um Straßenbäume. Sie stehen vor jedem Haus und darben. Sonnenbenommene hauptstädtische Gefühlsregungen schaden ihnen nicht, wenngleich sie auch nicht helfen.

Der umfassenden Welterklärung entbunden, geht’s jetzt zur Sache: Wegen der andauernden Sonnenglut macht man sich Sorgen um die Bäume. Es gibt Eichen, die schon lange unter Hitzestau leiden. Es gibt Linden, die anfangen, unter Hitzestau zu leiden. Es gibt Buchen, die bald unter Hitzestau leiden werden. Von den Kastanien ganz zu schweigen.

Die meisten Bäume, so kündigen Experten es an, werden schon bald ein Drittel ihrer Blätter abwerfen, um die Verdunstungsfläche zu verringern. Bäume wüssten sich eben zu helfen. Besser wär’s, die Bäume behielten ihr Kleid an. Damit säubern sie die Luft, produzieren bitter benötigten Sauerstoff. Nichts da. Das Wasser fehlt, die Hüllen fallen.

Um den FKK-GAU der Bäume zu stoppen, werden die BewohnerInnen, wie in jedem heißen Sommer, aufgerufen, sie zu gießen. Manche Kreuzberger-, Neuköllner- oder WeddingerInnen tun es gar. Aus Mitleid? Aus Selbstmitleid (siehe oben)? Wer weiß das schon.

Ganz sicher ist: Den Leuten in den Bundesbehörden und Ministerien geht diese Baumempfindsamkeit ab. Vor wenigen Jahren wurden rund um ihre Neo-Domizile Bäume gepflanzt. 600 Euro soll so ein junges Ding kosten. Dass denen nun zu heiß ist, dass sie verdursten, weil ihre Wurzeln noch kein Grundwasser erreichen – da kann doch der gemeine Politiker nichts für. Außerdem wird in den Parlamentsferien nicht gegossen. Auch nicht aus Mitleid. Kommt hinzu: Für die Bäume vor der Haustür der Ministerien sind die Bezirke zuständig. Dass die immer weniger Geld kriegen, na ja. Verantwortung liegt anderswo.

Deshalb sieht es so aus: Die jungen Eichen hinterm Marie-Elisabeth-Lüders-Haus sind im Trockenschock. Dass hier mal eine Allee entstehen soll, die der Regierung eichene Grandezza verleiht, glaube, wer will. Dagegen halten sich die wenig älteren Linden am Kanal hinter dem Wirtschaftsministerium geradezu standhaft. Allerdings scheint es, als würden sie heimlich alimentiert. Sie holen sich Wasser aus der gesprengten Grünfläche, die noch zum Ministerium gehört, auf der anderen Seite des Weges. Das kann von den Linden hinterm Bundeswehrkrankenhaus etwas weiter nördlich nicht gesagt werden. Dort ist auch unter der Hand nichts zu holen.

Ein finales Trauerspiel vollzieht sich derweil am Verkehrsministerium. Hier wird – burggrabenähnlich – der in den Untergrund verlegten Panke Wasser abgezweigt, das für gewöhnlich dekorativ am Gebäude entlangfließt. Aber gerade steht ein Gerüst im steinernen Flussbett, und der Zufluss für das Pankewasser wurde mal eben geschlossen. Den echt verkehrsministeriumseigenen Jungbäumen am Ufer, die ebenfalls dekorativ in Steinkübel gepackt sind, geht es selbstredend schlecht. Sie liegen – besser gesagt: stehen – im Koma. Das Ministerium, dessen emissionsfreudige Politik am Hitzestau nicht unschuldig ist, schert sich, wen wundert’s, einen Dreck um sie. WALTRAUD SCHWAB