frau schwab lernt polnisch (6) : Die Stunde der Erschöpfung
VON WALTRAUD SCHWAB
Die taz macht fit für den EU-Beitritt Polens am 1. Mai: Lernen Sie Polnisch mit Artur Kolasiński. Die sechste Stunde:
Heute ist Halbzeit. Bergfest. Kolasiński will uns deshalb mit polnischer Literatur verwöhnen, uns neugierig machen auf das, was wir nach vier, fünf Jahren ununterbrochenen Lernens erfahren könnten: Erkenntnis, Leidenschaft, Sprachrausch.
Ein Gedicht von Wisława Szymborska, der Nobelpreisträgerin von 1996, hat er ausgesucht. „Jahrmarkt der Wunder“ heißt es. Die Kopien verteilt der Lehrer selbst. Kein Fetzen Papier ist es, das er aus der Hand gibt, sondern ein Kleinod.
„Ein Alltagswunder: dass es so viele Alltagswunder gibt“, lautet die erste Strophe des Gedichts. Ich darf es lesen. „Ein gewöhnliches Wunder: das Bellen unsichtbarer Hunde in einer stillen Nacht. / Ein Wunder von vielen: eine kleine und flüchtige Wolke, aber sie kann den großen und harten Mond verschwinden lassen.“ Genau an der Stelle beginnt mein Handy zu klingeln. Ich versuche, es zu ignorieren, lese weiter. „Ein erstbestes Wunder: Kühe sind Kühe.“ Das Klingeln hört nicht auf. „Ein zweites nicht geringeres Wunder: …“ Das Handy klingelt noch immer. Ich sage: „Entschuldigung, przepraszam (sprich: präprascham), aber das ist mein Handy, ich kann so unmöglich weiterlesen“, krame in meiner Tasche, drücke den Anruf weg, lese weiter: „Ein zweites, nicht geringeres Wunder: …“ Wieder fängt das Telefon an. Erneut würge ich es ab, kämpfe mich weiter bis zur letzten Zeile, die der Lehrer uns vorher ans Herz gelegt hat: „Ein beiläufiges Wunder, beiläufig wie alles: was undenkbar ist – ist denkbar.“ Das also meinte Kolasiński: „Was undenkbar ist, ist denkbar.“ Ja, wir können es schaffen, Polnisch zu lernen, weil es Wunder gibt. – Ich fühle mich, als hätte ich das Wertvolle, das der Lehrer uns in die Hand legte, mit Füßen getreten.
Schnell wechselt Kolasiński zu Grammatik und Konversation. Immerhin können wir schon grüßen: „dzien dobry“ (dschiän dobre), uns verabschieden: „do widzenia“ und fragen, wie’s geht: “co słchać (tso swüechatsch)?“ Außerdem sind wir in der Lage, zu sagen, was wir tun und welche Hobbys wir haben: Tina interesuje się (interesuje schiä) – interessiert sich für brydz – Bridge. Michael für piłka nożna – Fußball. Mit „Fußball“ sind wir fast kommunikationsfähig. Kolasiński testet es aus. Er gibt Vorlagen, wir kicken sie zurück, aber meistens an ihm vorbei. Die Gemeinsamkeit im Scheitern gibt uns, den verbliebenen zehn Lernwilligen, zum ersten Mal das Gefühl, in einem Boot zu sitzen.
Um in Polen nicht nur nach der Befindlichkeit fragen zu können, sondern um dort auch nicht zu verhungern, fehlte uns bisher die Entschlüsselung der karta – Speisekarte. In dieses Geheimnis will Kolasiński uns heute noch einweihen. Dummerweise wird dazu der Akkusativ gebraucht. Im Polnischen hängt der als veränderter Endlaut an Substantiven und Adjektiven dran. Nur als Beispiel: Das ist die neue Chefin – to jest nowa szefka. Aber: Ich liebe die neue Chefin – lubie nową szefkę. Dazu gibt es noch weitere Feinheiten wie belebte und unbelebte Sustantive, die dazu beitragen werden, uns in Zukunft ratlos zu machen.
Es hilft nichts. Gegessen werden muss. Das würde die polnische Gastfreundschaft nicht ertragen, wenn wir hungerten. Deshalb darf jeder sein Leibgericht nennen: Michael, der Fußballfan, liebt stek-Steak. Tina, die Bridgespielerin, liebt Frytki-Pommes. Dazu gibt es noch Fisch-ryba-Begeistere, Blumenkohl-kalafior-Fans und Owotze-Obst-Esserinnen. Peter, mein Schulfreund, liebt Nudeln. „Makaron“ sagen die Polen dazu.
Was machen wir mit den neu erworbenen Kenntnissen? Wir üben sie ein auf hungrigen Magen: „Poproszę (poprosche) – ich hätte gern – rybę c stekem – Fisch mit Steak“, sagt Tina. „Poprosze frytki c makaronem i owotze“ – Fritten mit Nudeln und Obst sagt Peter, mein Schulfreund. „Recht so“, sagt der Lehrer, „klar dürfen Sie im Unterricht lügen.“
Fragen? polnisch@taz.de