franken in frankfurt von JÜRGEN ROTH :
In den Neunzigerjahren ist es mir noch passiert, dass mich ein Kellner in einer Bornheimer Apfelweinwirtschaft fast verprügelt hätte, weil ich ein Bier bestellen wollte. Wäre das gerecht gewesen? Ich meine: nein. Ich als genetischer Biertrinker darf mir auch unter erschwerten Bedingungen, das heißt in den Räumlichkeiten einer Apfelweinwirtschaft, das Recht herausnehmen, meinen Durst mit dem auf die Parameter meines sensorisch-zerebralen Apparats optimal abgestimmten Getränk zu stillen. Oder leben wir etwa im Morgenland?
Zugestanden, die Lage hat sich verändert, ausnahmsweise nicht mal zum Schlechteren. Strafmaßnahmen gegen Biertrinker in Frankfurter Äpplerkaschemmen sind passé. Einige Lokalitäten bieten sogar das weitaus bessere Bier an als die meisten der dazu eigentlich berufenen Bierstuben, die einen zum Konsum der Produkte eines Frankfurter Brauinstituts nötigen, das sich endlich und möglichst schleunig aufs Leimsieden oder die Möbelherstellung verlegen sollte.
Ich bin kein regelmäßiger Gast in Apfelweinwirtschaften. Das spricht überhaupt nicht gegen diese Einrichtungen. Ich werde nur, ob aus Starrsinn oder aus Anhänglichkeit gegenüber dem Frankfurter Stadtteil, in dem ich seit beinahe fünfzehn Jahren lebe, stetig immobiler und schlappe am liebsten in die nächstbeste Pinte an der Frankenallee im Gallus, wo die Tradition des Apfelweintrinkens so fest verankert ist wie die ehrbare Sitte des Rauchens unter Grünen-Wählern aus dem Nordend.
Wenn ich dann schon mal in Sachsenhausen unterwegs bin, muss mich das Fichtekränzi bis zur bitteren Bierneige aushalten beziehungsweise das dortige Personal, das zwischen den dunklen Bänken und Tischen umhereilt, während unsereins stad und stoisch einen Krug dunklen Landbiers nach dem anderen verdrückt und dabei zum Glück an gar nichts denkt – außer eventuell an die Fränkische Schweiz, aus der der Edeltrank stammt, der das Fichtekränzi mit der wundergleich feinen Landschaft nordöstlich von Nürnberg verbindet.
Hinter dem glänzenden, breiten Tresen wird es gezapft, das dunkle Lagerbier der Brauerei Krug aus Breitenlesau. „Das Erfolgsrezept: Das Bier wird zu einem Geschmack gebracht“, ist auf der Website des mittelständischen Unternehmens zu lesen. Ich lese lieber, unterdessen ich durch vorsichtiges Heben des Tonseidels ein drittes Bier ordere, die Bierkritik eines verstorbenen Freundes und Kollegen über die untergärige Schönheit: „Rezent, sehr hopfiges Timbre, bisweilen (nach dem dritten, auch nach dem siebten Schluck) recht trocken-rauchig, knackig und sinnlich. Fast übersinnlich.“
Auch äußerte sich Thomas Kapielski in seinem Werk „Sozialmanierismus“ vornehm und lobend über das Fichtekränzi. Kapielski ist Apfelwein- und Biertrinker und versteht von beidem so viel wie von Kunst und vom Schreiben. Und er schreibt: „Anschließend zog man ins Fichtekränzi, wo es sehr schön war! Wo ich auch Johann Gottlieb Fichtens gedachte und gehabtes Erleben aus der Sicht radikalsten Idealismus reflektierte, was sehr entlastet, auch beim Bemessen genehmigten Apfelweins.“
Diese Hinweise zum Fichtekränzi dürfen genügen.