firme ströme der liebe von FRANK SCHÄFER :
Wenn die Verwandtschaft auf einmal generös wird, teure Büttenbriefumschläge an einen versendet, sich womöglich sogar Mühe gibt, die Adresse richtig und leserlich zu schreiben, ist Kummer im Anmarsch. Vier Wochen später sitzt man auf einer christlich harten Holzbank und soll lauthals mitsingen: „Ich möcht’, dass einer mit mir geht, / der’s Leben kennt, der mich versteht, / der mich zu allen Zeiten / kann geleiten. / Ich möcht’, dass einer mit mir geht …“
Dieses Frömmlerlatein, vielkehlig dargeboten neulich Samstag in dem Konfirmationsgottesdienst irgendwo in diesem gottfernen Land, erinnerte mich an meine eigene Jugend und die kleinen unter der Schulbank gekritzelten Zettel. Zuerst die obligatorische Frage: „Willst du mit mir gehen?“ Darunter drei Kästchen zum Ankreuzen mit den Optionen: „Ja!“ – „Nein!“ – „Nur ficken!“
Nun, das ist lange her, und der Lack längst ab. Aber plötzlich ging ein Ruck durch die Reihen, der den süßen Schmerz der Nostalgie wie eine lästige Mücke vertrieb. Die Gemeinde stand auf, um die nun einmarschierende, noch ein bisschen verkicherte Schar der Konfirmanden und Konfirmandinnen zu begrüßen. Mein Nebenmann stieß mich leicht an. „Ey, da sind ja schon ganz schön scharfe Teile bei!“ – „Nicht so laut“, sagte ich, „du kommst in Teufels Küche.“
Er musste glücklicherweise nichts mehr erwidern, denn jetzt ging es auch schon flugs an die Predigt. Und der Pastor schmiss sich heute so richtig rein, sprach die jungen Menschen immer wieder direkt an, warmherzig, fast zärtlich, wie es so einem Hirten wohl ansteht. Dieser Tag falle ihm nicht ganz leicht, denn von nun an werde man sich ja nicht mehr so häufig sehen, und das sei schade, er habe sich nämlich an die schönen Nachmittage mit ihnen gewöhnt und hege gewisse Hoffnungen, dass es dem einen oder anderen genauso gehe. Und dann lobte der Pastor auch noch die Mitarbeit seiner Schützlinge, und er lobte sie mit religiösem Feuer. „Ouuuh“, jaulte er auf, „ihr wart guuut, so manches Mal wart ihr richtig guuut …“ Seine Stimme brach ihm vor Rührung oder irgendetwas anderem.
Und die so geheißene Einsegnung folgte auf dem Fuß. Die ersten vier Mädchen kamen nach vorn, knieten sich vor den Altar, der Mann in Schwarz trat gütig lächelnd vor sie hin, legte beide Hände auf ihren Kopf, schloss genießerisch die Augen – und sagte die Konfirmationssprüche auf. Und schon kamen die nächsten vier an die Reihe. Und alles hatte seine schöne Ordnung.
„Na halleluja“, meldete sich mein Nebenmann erneut und machte dicke Backen, „das haben die aber gut geübt!“ Den Eindruck hatte ich auch! Aber da wurde auch schon wieder gesungen: „Lobe den Herren, der deinen Stand sichtbar gesegnet, / der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet. / Denke daran, / was der Allmächtige kann, / der dir mit Liebe begegnet …“
Und die pralle Kollekte war bestimmt für die dringend notwendigen Reparaturen an der Kirchenfassade. Die sah tatsächlich etwas arg mitgenommen aus.