faxen dick und nase voll von HARTMUT EL KURDI :
Michi Waller und ich waren Freunde. In der Fridtjof-Nansen-Grundschule saßen wir zwei Jahre lang nebeneinander, Stuhl an Stuhl. Nachmittags lieh ich ihm mein schrottiges Ersatz-Klapprad und wir scheesten mit ratternden Bierdeckelmotoren zwischen den Speichen durch Kassel-Helleböhn. Wir waren – logo – die „Helleböhn Angels“.
Michi besaß kein eigenes Rad, weil seine gluckige, arschstrenge Mutter – ein amorpher menschlicher 130-Kilo-Dachs – Radfahren für eine lebensgefährliche Extremsportart hielt und es ihrem „Michibär“ rigoros verboten hatte. Ohne mich wäre er also ein Fußgänger gewesen. Oder ein Tretrollerfahrer. Allein schon deswegen hätte er mir zutiefst dankbar sein müssen. Aber wie das im Leben leider so ist, fiel er mir stattdessen eines Tages schamlos in den Rücken.
Ich weiß nicht mehr, was genau wir im Werkunterricht „werken“ sollten, auf alle Fälle sollten wir es mit Holzleim tun. Ich öffnete die mir und Michi zugeteilte Tube und roch daran. Aus Reflex. Weil man fremde Stoffe erst einmal beschnuppern muss. Das machen Kinder und andere wilde Tiere so.
„Hier, riech ma’!“ Ich hielt auch Michi die Tube unter die Nase. „Lass das!“ Er schob meine Hand unsanft zur Seite. „Riech doch ma’!‘“ – „Hör auf, du Aasch!“ Michi wurde patzig. Was sollte das? Ich ignorierte die Zickerei: „Nur eima’ riechen.“ Und da tat Michi etwas Unfassbares. Er meldete sich aufgeregt schnipsend (!) und rief: „Frau Gietz, der Hardy will mir Leim in die Nase schmieren.“
Ich spürte einen Stich in meinem Herzen! Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich mit Verrat konfrontiert. Michi petzte nicht einfach nur, er verpetzte mich, seinen Blutsbruder, seinen Fahrradgönner, und das Schlimmste war – die Sau log! Niemals hätte ich ihm Leim in die Nase geschmiert. Das musste er doch wissen.
Als Frau Gietz mich herabsetzend anbellte und ich dazu ein hämisches Grinsen auf Michis Gesicht zu sehen glaubte, drehte ich durch. Ohne nachzudenken, quasi vegetativ, führte ich eine zwillengeschossschnelle Handbewegung aus, rammte meinem überraschten Freund die Tubentülle ins Nasenloch und drückte mit aller Kraft zu. Ich pumpte ihn mit Leim voll, er versuchte, sich mir zu entwinden, aber ich packte ihn an den Haaren, hielt ihn fest und quetschte weiter, immer weiter …
Michi schrie, Frau Gietz stürmte auf mich los und nahm mich von hinten in den Schwitzkasten. Ich strampelte, schlug und trat um mich. Michi heulte und versuchte sich prustend den Leim aus der Nase zu schnauben. Die aus dem Nebenzimmer panisch hereinpolternde Frau Kuhn sah Michi mit seinem zähflüssigen weißen Nasenausfluss und rief sofort einen Krankenwagen. Und dann fünf Kollegen zur Hilfe.
Ich wurde überwältigt, und Michi Waller bekam vor Ort die Nase gespült. Anschließend verbrachte er drei Tage auf der HNO-Station des Elisabeth- Krankenhauses. Mir empfahl man einen Schulwechsel, den ich reuelos ablehnte. Ich fühlte mich nicht schuldig, und doch habe ich mir seitdem nie wieder ganz getraut. Ich war dem Biest in mir begegnet. Keinem Wolf, keinem Tiger, eher einem wütendem Feldhamster. Aber immerhin …