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Archiv-Artikel

evolution und superschwein von ILKE S. PRICK

„Was hältst du eigentlich von Kinderschändern?“ Meine Freundin legt die Feile zur Seite. „Gar nichts“, antworte ich. „Wieso?“ – „Na“, sagt sie mit kritischem Blick auf ihre Fingernägel, „weil ich heute im Bus ein Gespräch belauscht habe. Der Typ hinter mir erklärte seiner Banknachbarin die Evolution. Echt spannend.“ – „Evolution?“ Ich bin verwundert. „Was hat die mit Kinderschändern zu tun?“ – „Ich erklär’s dir, pass auf.“

Sie schüttelt den Nagellack und fasst zusammen: „Zuerst gab’s Dinosaurier, und danach kamen die Pfarrer.“ – „Bitte? Gleich nach den Dinosauriern?“ Das geht mir zu schnell. „Wo bleiben die Neandertaler? Da hat der Typ doch was unterschlagen.“ Sie grinst. „Sicher, aber darauf kommt’s nicht an. Ihm erschien die Abfolge logisch. Wegen der kleinen Gehirne. Er hat erklärt, dass auch Pfarrer nur dächten, sie hätten die Weisheit gepachtet, obwohl das Einzige, was sie wirklich machten, sei: kleinen Jungs an den Schwanz zu fassen. All das sei Evolution, fand er. Darum hätte es gar keinen Sinn, Kinderschänder in die Psychiatrie zu stecken, denn wenn sie da rauskämen, machten sie doch nur wieder dasselbe. Er jedenfalls würde sie alle an die Wand stellen und rums. Das wäre für seinen Geschmack dann auch Evolution.“ Ihr Haifisch-Lächeln ist irritierend, und ich frage mich, ob Fahrrad fahren nicht besser für sie wäre.

Beim besten Willen kann ich mich nicht erinnern, dass wir während meiner Schulzeit in Bio beim Thema Evolution irgendwelche Zusammenhänge zwischen Dinosauriern, Pfarrern und Kinderschändern behandelt haben. Doch das war in den Achtzigern. Seitdem hat sich ja einiges geändert. Was genau allerdings meine Freundin an dem Busgespräch so spannend findet, begreife ich nicht. Sie aber schüttelt nur den Kopf über mein Unverständnis. „Er nennt es Evolution. Ich nenne es Marktlücke.“ – „Wie? Kinderschänder?“ Ich bin entsetzt. „Nicht direkt“, schnauft sie, „aber überleg mal, welche Möglichkeiten sich da auftun: Pädophile und öffentliches Interesse. Erinnerst du dich noch an die Begeisterung in den Medien, als neulich einer vor seiner Verurteilung angeboten hat, sich kastrieren zu lassen? Und jetzt wieder Belgien. In den Nachrichten sind wir doch alle gespannt am Buddeln mit der Polizei. Der Volksseele gefällt so was. Und darauf kommt’s bei Marktlücken doch an.“

Langsam mache ich mir Sorgen. „Geht es dir gut?“, frage ich. „Und wie!“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Meine Idee ist nämlich folgende: Superschweine-TV oder Die Evolutionsshow! Das wäre doch was: Keine gestellten Anwaltsserien mehr, sondern öffentliche Prozesse mit echten Delinquenten. Super Einschaltquoten! Das Urteil fällt dann das Publikum per TED. Die Verlierer erschießen sich gegenseitig vor laufender Kamera, der Gewinner bekommt zur Strafe einen Moderatorenvertrag auf RTL. Die Einnahmen kämen auf das Spendenkonto für missbrauchte Ministranten. Das würde dann auch dem Typen aus dem Bus gefallen.“

Ihre Logik macht mir Angst. „Allerdings ist noch eine Frage offen.“ Sie pustet den Nagellack trocken. „Wie können wir nur Dieter Bohlen in der Show unterbringen? Schon allein wegen der Evolution.“