euripides „bakchen“ : Ein zutiefst zweideutiger Rausch
Schwarz sind Tütü und Büstier. Der Chor der Bakchen wirkt, wie das von tiefster Schwermut befallene Personal einer Transen-Trash-Komödie. Ja, im süperb-einstudierten Unisono-Sprechen, im schrillen Verkleidungsdrang aller Akteure, in den saloppen Dialogen hat Regisseur Robert Schuster choreografisch-musikalischer Komik Raum gelassen. Doch er stellt gleich klar: Das wird nicht alles sein. Der Rausch hat etwas zutiefst Zweideutiges. Und Erlösung – erwartet man hier besser nicht. Raoul Schrott hat Euripides Bakchen in zupackend leibhafter Sprache neu gedichtet. Am Freitag war Premiere. Besseres Schauspiel war im Bremer Theater seit Jahren nicht zu sehen.
„Bakchen“ ist eine Tragödie der Tragödie: Schließlich ist in ihr Dionysos selbst zentrale, handelnde Person: An Pentheus, der sein Cousin und der König von Theben ist, will er sich rächen: Der leugnet seine Gottheit. Den mit üppig behaarten Beinen und neckischem Großpenis auf Erden wandelnden Gott spiel Varia Linnéa Sjöström: Mal ist sie ein zahm naives Mädchen, mal burschikos-dekadentes Zentrum des Chors, mal würgt und krampft aus hier heraus ein Dämon, grusliger als im Exorzist. Sie wird – und alle künden Pentheus davon mit Grauen und Entzücken zugleich – die Bewohner Thebens in belebenden Rausch versetzen. Bis schließlich auch er der Lockung erliegt: Er will dem heiligen Tanz der Bakchen – dem Ursprung der Tragödie – beiwohnen.
Wie Guido Gallmann sich vom neurotischen Rationalisten in einen erregten Spanner verwandelt, das ließe sich zwar beschreiben. Aber besser, man erlebt es selbst. Von den ekstatischen Bakchen, angeführt von seiner Mutter, wird er dann erschlagen, zerhackt und zerkratzt. Mit stolz glühenden Apfelbäckchen tritt Gabriela Maria Schmeide als Agaue dann wieder auf die Bühne, reckt das abgeschlagene Haupt in die Höhe – und will die Stadt zur Feier laden: Sie ist glücklich über eine erfolgreiche Jagd. Sie hält den Kopf ihres Sohnes nämlich für den eines Luchses. Auf leisen Füßen, im herzergreifenden Kammerspielton, tritt dann das Erkennen zu ihr: Die Illusion ist glücklich, vielleicht. Aber das Erwachen ist Grauen. Das Leben ist öde. Und die Kunst ist Tod.
Benno Schirrmeister