erster mai : Rhetorisch im Abseits
Gewerkschaftsführer sind dafür bekannt, dass sie sich in ihrer Metaphorik auf ein Weltbild beziehen, in dem die Fronten übersichtlich sind. Die Bosse von heute „wollen endlich wieder heuern und feuern wie in Amerika“, geißelte DGB-Chef Michael Sommer gestern in seiner Rede zum 1. Mai. Während die einen „schwitzen und weinen, gehen diese Herrschaften golfen und greinen“.
Kommentar von BARBARA DRIBBUSCH
Sommer bediente sich immerhin nur altgedienter Proletarier-Prosa. Der designierte IG-Metall-Chef Jürgen Peters hingegen scheute sich nicht, in seiner Rede die heutige Diskussion über eine Lockerung der Tarifverträge mit der Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch die Nazis anno 1933 zu vergleichen: „Sprache und Stoßrichtung von damals haben eine verblüffende Ähnlichkeit zu dem, was wir heute von einigen hören.“ Weia! So schadet man der Gewerkschaftsbewegung. Wenn die Arbeitnehmervertreter ihre Rhetorik nicht gründlich überdenken, laufen sie Gefahr, in der heutigen Sozialstaatsdiskussion nicht mehr ernst genommen zu werden.
Die grobe Frontbildung der Gewerkschaftsfunktionäre reicht nämlich nicht mehr aus. Davon, dass die geplanten Sozialreformen einseitig die „Arbeitnehmer schröpfen“, war gestern in vielen Ansprachen die Rede. Und auch davon, dass die hohen Vermögen ungeschoren davon kämen. Beides stimmt. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit.
Klar ist, dass auch die wünschenswerte Einführung einer Vermögenssteuer die Probleme der Sozialversicherungen nicht lösen würde. Denn anders als die Gewerkschaften immer wieder behaupten, herrscht in Deutschland heute eine gewisse Verwirrung darüber, wer eigentlich der Schwache ist in diesem Land. Sind es die Beitrags- und Steuerzahler, die mit immer höheren Abgaben zur Kasse gebeten werden? Oder sind es die Leistungsempfänger, die demnächst Kürzungen in Kauf nehmen müssen? Genau das ist die Frage, die sich viele heimlich stellen. Der Gewerkschaftsgospel liefert den Zuhörern dazu weder Hilfe noch Erkenntnis. Nun mag man einwenden, dass das eben auch nicht die Aufgabe der Gewerkschaften sein kann, die Probleme des Sozialstaats differenziert darzustellen. Und dass es eben zur Rhetorik des 1. Mai gehört, vor allem zu geißeln, zu empören und darüber zu vereinen. Da ist vielleicht was dran. Nur sieht man eben an der Entgleisung von Jürgen Peters, wohin diese Fixierung auf das rhetorische Einpeitschen führt: ins Abseits. Und nicht in die Zukunft.