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Archiv-Artikel

eingespritzt Der Reiz des Pflasters

Große sportliche Erfolge sind ohne wissenschaftliche Hilfsmittel nicht möglich, der Schritt ins Kriminelle ist oft schnell getan

Floyd Landis hat nach dem positiven Befund seines B-Tests angekündigt, sich mit Händen und Füßen gegen seine Sperre, gegen die Beschädigung seines Rufs und gegen die Zerstörung seiner öffentlichen Person anzugehen. Seine Anwälte lassen keinen Zweifel daran, dass sie sich nicht beugen werden, bis alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind. „Das ist nur der Anfang eines langen Prozesses“, sagte der spanische Landis-Verteidiger, José María Buxeda.

Für den Radsport im Besonderen und für den Sport im Allgemeinen wäre es sicher besser, wenn Landis uns allen dieses Theater ersparen würde. Wenn er nicht monatelang vor allen möglichen sport- und zivilrechtlichen Instanzen ein öffentliches Tauziehen um sein Gelbes Trikot veranstalten würde. Wenn er zugeben würde, dass er sich vor seiner heroischen Alpenetappe ein Testosteronpflaster sonst wohin geklebt hat und wenn er dann seinem Freund Oscar Pereiro das Siegerhemd zuschickt.

Doch es geht um zu viel. Es geht um Landis’ Karriere, um sein Auskommen und um seine Zukunft. Als Tour-Sieger ist er ein gemachter Mann, kann sich seine Verträge aussuchen und hat ein gesichertes Auskommen als öffentliche Figur in der einen oder anderen Funktion bis an sein Lebensende. Als überführter Doper steht er vor dem Nichts. Geächtet von der Branche und von der öffentlichen Meinung zum Kriminellen gestempelt, bleiben ihm nicht mehr viele Optionen. Zurück nach Pennsylvania gehen und auf der Farm seiner Eltern arbeiten vielleicht.

Man ist versucht zu sagen, das hätte er sich vorher überlegen sollen. Und sicher ist eine solche Stammtischrede auch nicht gänzlich unangebracht. Sie blendet jedoch die Tragik von Schicksalen wie dem von Floyd Landis und mit Einschränkungen auch von Jan Ullrich aus. An einem glorreichen Tag können sie sich unsterblich und reich machen, mit einer einzigen Heldentat zum ewigen Liebling ganzer Völker werden. Wenn sie ob dieser Versuchung schwach werden, werden sie jedoch zu Bösewichtern und Dämonen.

Dabei ist die Schwelle, die sie überschreiten, gar nicht so groß, wie sie scheinen mag. Es ist nicht viel Natürliches an einem Sportprofi-Leben – mit all dem wissenschaftlichen Training tagein, tagaus und all den erlaubten medizinischen und technischen Hilfsmitteln. Mit einem Testosteronpflaster werden sie jedoch zu Kriminellen. Sympathie mit Kriminellen ist nicht populär.

Dennoch – die Grausamkeit dieses Systems ist nicht immer leicht zu verdauen. Insbesondere, wenn man von Medienseite aus bei dem Wechselspiel von Heroisierung und Dämonisierung zwangsläufig irgendwann einmal mitgemischt hat.

SEBASTIAN MOLL