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Archiv-Artikel

ein amerikaner in berlin ARNO HOLSCHUH will ins Fernsehen

Man kann entweder als Terrorist in die Nachrichten kommen oder als hirnlose MTV-Persönlichkeit

Wie jeder Amerikaner will ich im Fernsehen sein. Das gehört zum amerikanischen Traum: ein großes Haus, ein großes Auto, und ein großes Publikum. Als Andy Warhol mal gesagt hat, jeder Mensch bekäme eine Viertelstunde Berühmtheit, fanden viele diese Idee so toll, dass sie sie gleich als Grundrecht in die Verfassung einbringen wollten.

Natürlich träumen nicht alle Amerikaner diesen Traum. Es gibt ja diese abartigen Dissidenten, die grün wählen, mit ihrer kleinen Wohnung zufrieden sind, der Umwelt zuliebe Fahrrad fahren und lieber ihre Privatsphäre schützen als in der Glotze erscheinen wollen. Vermutlich sind das gottlose, homosexuelle Kommunisten. Aber Genaues, gebe ich zu, weiß ich nicht – weil sie eben nie im Fernsehen auftauchen.

Sie sind aber eine sehr kleine Gruppe. Neun von zehn Amis glauben, sie haben das Zeug, um Fernsehstar zu werden. Deswegen benehmen sie sich augenblicklich auffällig, sobald sie in die Nähe einer Fernsehkamera kommen. Am deutlichsten beobachtete ich dies in der kalifornischen Kleinstadt Eureka, wo ich als Reporter arbeitete.

Jedesmal, wenn die lokalen Fernsehteams bei einer Pressekonferenz auftauchten, sammelte sich vor ihnen eine kleine Traube von Leuten, die alle im Fernsehen sein wollten. Sie benahmen sich wie athletische und familienbegeisterte Idioten: Hüpfen, winken, „Hi, Mom!“. Das war für die Fernsehreporter sehr nervig, schon weil Erklärungen, dass Grüße an die eigene Mutter nur geringen Nachrichtenwert hätten, kaum halfen. Für mich und mein Diktiergerät interressierte sich niemand.

Also nutzte ich die Gelegenheit, herablassend darüber zu lachen. Das Lachen war aber nicht hundertprozentig ehrlich, denn auch ich verspürte diesen unerklärlichen Drang, vor die Kamera zu wollen.

Meine Ohren wurden daher spitz, als mein Freund Axel mir neulich sagte, dass die deutschen MTV-Studios sich in seinem Wohnhaus befinden. „Ach ja?“, fragte ich, bemüht, völlig cool zu wirken. „Ja, ja“, nuschelte Axel völlig desinteressiert, „manchmal sehe ich die Stars, wenn sie durch den Hof zum Interview gehen.“ Ich sah aus seinem Küchenfenster zum Hof hinaus, wo tatsächlich zwei Autogrammjäger in der Kälte rumlümmelten und in ihre Hände pusteten.

Wir saßen am Küchentisch und tranken Kaffee. Axel meckerte über sein Studium, aber ich hörte kaum zu. Ich konnte meinen Blick von der Tür zum MTV-Studio nicht wegreißen. Erst als er erwähnte, dass es auch Teroristen in seinem Haus gebe, hörte ich ihm wieder zu. „Terroristen?“, fragte ich. „Ja, ich hab’s im Fernsehen gesehen. Die brachten eine Reportage zu extremistischen Islamisten, und stell dir vor: Auf einmal sehe ich mein Haus. Der türkische Kulturverein im zweiten Stock soll Terroristen unterstützt haben.“

Das gab mir zu denken. Man kann entweder als Terrorist in die Nachrichten kommen oder als gehirnlose MTV-Persönlichkeit. Was wäre, wenn ich die Synthese aus beidem schaffen würde? Dann müssten sie mich wohl im Fernsehen zeigen!

Ich schlug Axel vor, während einer Live-Schalte Steine durch die Fenster von MTV zu werfen. Wenn die Kamera rausgestürzt kommt, brüllen wir politische Forderungen. Dann lassen wir uns natürlich erst einmal verhaften, aber auch das ist durchdacht: Wir stellen einfach Axels Videorekorder auf, um das Ganze aufzunehmen. Dann können wir unseren großen Auftritt nach unserer Entlassung beliebig oft anschauen.

Zu dem Zeitpunkt kehrte leider Axels gesunder deutscher Verstand wieder ein. „Ich weiß nicht, Arno“, sagte er. „Lohnt es sich, jahrelang eine Zelle mit einem Mörder zu teilen? Und was für Forderungen sollen wir denn schreien?“ Daran hatte ich nicht gedacht. Ich sah, dass ihm die nötige Leidenschaft fehlte. Aber so ist das: Nicht jeder kann als Fersehpersönlichkeit taugen. Ich bin Ami, ich schon.