ein amerikaner in berlin : ARNO HOLSCHUH über das rätselhafte Verhalten der vietnamesischen Händler
Der eindeutige Beweis, dass Gott ein humorvolles Wesen ist
Meine Eltern waren aufgeklärt. Fern jeglicher Amerikastereotypen haben sie mir eine Erziehung gegeben, auf der auch die strengste deutsche Sozialpädogogin stolz wäre. Nur Vollwertkost habe ich gegessen, nur Ziegenmilch und naturtrüben Apfelsaft getrunken, nur Sesamstraße im Fernseher gesehen. Dies erklärt einiges an meinem Verhalten als Erwachsener, zum Beispiel meine Leidenschaften für Hamburger, Bier und billige Kung-Fu-Streifen.
Politisch engagiert waren meine Eltern auch. In den späten Siebzigern, als mein Land noch an den Wunden des Vietnamkriegs zu lecken begann, haben sie sich entschieden, etwas Konkretes zu tun, eine Flüchtlingsfamilie aufgenommen. Mom und Dad gaben ihnen Essen und ein erstes Zuhause in den USA.
Ich bin noch heute stolz auf die Bereitschaft meiner Eltern, sich behutsam mit dem Thema Integration auseinander zu setzen. Als Dad zum Beispiel entdeckte, dass das einquartierte Familienoberhaupt Sprechstunden als Zahnarzt in unserer Garage hielt, erklärte mein Vater ihm, dass es nicht nötig sei, verrottete Zähne mit einer Zange zu entfernen. Schließlich gab es schon Zahnärzte in diesem sagenhaften Land. Dennoch war das Oberhaupt etwas verwirrt, als er später mit seiner Tochter vom Zahnarzt zurückkam. Denn der Fachmann wird zwar bezahlt, nimmt den Zahn aber gar nicht raus! Er bohrt nur darin rum! Alles Schwindel!
25 Jahre später lebt die vietnamesische Familie in San Diego, wo sie eine französische Bäckerei gegründet hat. Sie hat unerhörten Reichtum damit erwirtschaftet, die einstigen Besetzer Vietnams mit dem Gebäck der einstigen Kolonialherren Vietnams zu füttern, was eindeutig beweist, dass Gott ein sehr humorvolles Wesen ist.
Und ich lebe in Prenzlauer Berg, wo ich ein Stück meiner Kindheit wiederentdeckt habe. Denn auch hier gibt es Vietnamesen. Sie sind genauso, wie ich sie in Erinnerung habe: nett und rätselhaft.
So hat es der Kioskbetreiber an meiner Ecke verstanden, eine bessere Auswahl auf seinen 40 Quadratmetern unterzubringen als der nächste Supermarkt auf dreimal so viel Fläche. Der Mann begrüßt zudem jeden Kunden mit einem Lächeln auf seinen Lippen, egal ob den Penner mit Ein-Euro-Flachmann oder den Yuppie mit Sekt und Artischocken. Kommt jemand in seinen Laden, gibt der Vietnamese jedem einen kurzen, freundlichen, aber komplett unverständlichen Gruß. Vielleicht schimpft er uns alle auf Vietnamesisch aus. Es wäre mir ehrlich gesagt egal, weil es immer noch netter ist, als bei Lidl in klar artikuliertem Deutsch von der Kassiererin angeranzt zu werden.
Der vietnamesische Händler in Berlin ist ja im Allgemeinen so was wie der Nichtdeutsche der Straße. Er kennt zum Beispiel keine Ladenschlussgesetze außer seinen eigenen. Manchmal steht sein Laden noch um 21 Uhr offen, manchmal ist er schon am 15 Uhr geschlossen.
Und er hat keine Hemmungen, persönliche Kommentare abzugeben. Als ich neulich bei ihm ein Feuerzeug kaufen wollte, hat er gefragt, was für eins ich gerne hätte. Ich zuckte die Achseln. „Ein rotes“, sagte ich. Er grinste und bückte sich über der Kasse. „Aha! Rot! Rot ist für Sie, weil Sie so … heiß sind. Ja?“
Tja, wie gesagt, nett und rätselhaft – aber, dank meiner aufgeklärten Eltern, gar nicht so fremd.