eigentlich sollten Computer und Software alles rationaler machen. nun stehen wir davor wie die letzten Deppen: Das Ende der Aufklärung
Nullen und Einsen Meike Laaff
In den frühen Neunzigern, ich war noch im Zahnspangenalter, teilte sich meine gesamte Familie einen einzigen Rechner. Der stand im Keller und hatte zwei Floppy-Disk-Laufwerke, über die man ihm das Betriebssystem bei jedem Start aufs Neue eintrichtern musste. Während das immer so vor sich hin dauerte, habe ich mich irgendwann gefragt, was da wohl drin passieren mag in der Kiste. Ich besaß dieses weiße Taschenbuch. Dem war zu entnehmen, wie Datenbusse Bits von hier nach da im Rechner transportieren und wozu man RAM braucht – solche Dinge.
Richtig gut war das Buch wahrscheinlich nicht. Aber ich hatte das Gefühl, zu wissen, was passiert. Daran musste ich denken, als ich kürzlich gemeinsam mit dem Laptop-Doc in meinen aufgeschraubten Rechner starrte und mir klar wurde, dass ich überhaupt keinen Plan mehr hatte, was hier eigentlich wo war. Oder auch nur: was was.
Warum das eine Rolle spielt? Weil ich nicht aufhören kann, über Danny Hillis nachzudenken. Der US-Programmierer und Techdenker schrieb vor einiger Zeit einen Essay, in dem er das Zeitalter der Aufklärung für beendet erklärt. Und schuld daran? Computer natürlich. Ausgerechnet die Maschinen, die für Ursache und Wirkung stehen, für 0 und 1, für blanke Logik und stumpfe Ausführung wie nichts anderes, sollen uns den Weg raus aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit blockieren?
„Statt die Herren unserer Schöpfungen zu sein, haben wir gelernt, mit ihnen zu verhandeln“, schreibt Hillis. Wie die Frau, die neben mir im Café saß und ihren stahlgebürsteten Rechner anschrie. In fast jeder Firma könnte man anthropologische Studien über das Verhalten von Mitarbeitern anfertigen, wenn die Technik mal nicht so tut, wie sie soll.
Schritt eins: wild herumklicken und auf der Tastatur herumhauen. Schritt zwei: bei der EDV anrufen (soweit vorhanden) und laut fluchen (optional). Schritt drei: mit leerem Blick zum Kaffeeautomaten schlurfen und warten, bis irgendjemand das Problem fixen möge. Herrscher der Technik sehen anders aus. Alphabetisierte auch.
„Wir haben uns unseren eigenen Dschungel gebaut, und der hat ein Eigenleben“, schreibt Hillis weiter. Selbst Programmierer verstehen nicht mehr, wie ihre Software funktioniert. Mein Smartphone hat mehr Rechenleistung als die Mondmission von 1961. Googles Dienste – Maps bis zu Gmail – bestehen aus über 2 Milliarden Zeilen Code. Selbstverständlich blickt da keiner mehr durch. Nicht einmal bei einfacheren Apps, weil Programmieren heute bedeutet, sich aus existierenden Bausteinen etwas zusammenzubasteln.
Schlimm? Findet Hillis nicht. Eher irgendwas zwischen gut und böse, je nach Einsatz. So wie immer, wenn es um Technik geht. Wir betreten das Zeitalter des „Entanglements“: der Verwebung von Mensch und Rechner. In der man halt nicht mehr unbedingt rational alles verstünde, sondern sich einfach mal dem Flow der Verschränkung anpassen müsse. Willkommen im Mittelalter 2.0. In einer Zeit, in der wir nur zu den Göttern dieser künstlichen Ökosysteme beten können. Sie mögen uns vor dem Schlimmsten verschonen.
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