ede und die zigarettendiebe von RALF SOTSCHECK :
Der irische Ede Zimmermann heißt Brenda Power. Sie präsentiert die Sendung „Crimecall“ im staatlichen Fernsehen RTE. Wie bei „Aktenzeichen XY“ geht es um ungelöste Verbrechen, und davon gibt es jede Menge in Irland. In Dublin kämpft die Drogenmafia untereinander mit Pistolen, im Limerick bevorzugen sie Messer, um sich gegenseitig umzubringen, in Cork sind sie bei der Wahl der Waffen nicht wählerisch.
Bei der Tatwaffe, um die es diesmal bei „Crimecall“ ging, handelte es sich um eine Holzlatte. Schauspieler hatten das Verbrechen aufwändig nachgestellt, ein Polizist kommentierte den Fall im Studio. Zwei Zigarettenlieferanten hatten ihren Transporter vor einer Kneipe in der Nähe der Dubliner Innenstadt geparkt. Während einer die Kippen ins Wirtshaus trug, sortierte der andere im Laderaum die Lieferung für den nächsten Kunden. Plötzlich befahl ihm ein Passant, er solle sofort aus dem Lieferwagen verschwinden. Der Angesprochene hielt das zunächst für einen Scherz, bis ihm der bärtige Fremde mit einer Holzlatte auf die Beine schlug. Der Zigarettenlieferant ergriff vorsichtshalber die Flucht, wurde von dem Gangster jedoch nach wenigen Metern gestellt und zu seiner Verblüffung pausenlos mit leichten Schlägen auf die Unterschenkel traktiert.
Unterdessen kletterte ein Komplize in den Lieferwagen und entwendete einen Karton Zigaretten. Dann stiegen die beiden Diebe in ihr Fluchtfahrzeug, das in zweiter Spur neben dem Lieferwagen geparkt war, und rasten davon. Weit kamen sie nicht. Nach ein paar Kilometern kollidierten sie mit einer Mauer. Das Auto ging in Flammen auf, aber die Gauner konnten ihre wertvolle Beute – den Karton Zigaretten – aus dem brennenden Auto retten. Sie liefen damit wie die Hasen über eine breite Hauptstraße und verschwanden im Phoenix Park, dem großen Dubliner Stadtpark. Danach verlor sich ihre Spur.
Möglicherweise sei jemandem der Fluchtwagen aufgefallen, mutmaßte der Polizist im Fernsehstudio. Das Fahrzeug sei recht auffällig, sagte er: ein Kia Mentor, der selten sei in Irland. Der Wagen sei in grellem Türkis lackiert gewesen – einer Farbe, die serienmäßig bei einem Kia gar nicht erhältlich ist und vermutlich auch bei keiner anderen Marke. Darüber hinaus war das Vorderrad durch ein leuchtend rotes Notersatzrad aus Gummi ersetzt, mit dem man eigentlich nicht schneller als 80 fahren darf, wie der Polizist streng anmerkte. Zum Zigarettendiebstahl kommt also noch ein Verkehrsvergehen hinzu. Jedenfalls war das Auto so auffällig, dass nur noch eine Piratenflagge an der Antenne gefehlt hatte.
Die Polizei wollte nun wissen, ob einem Fernsehzuschauer das bunte Fahrzeug aufgefallen sei. „Der Wagen war natürlich gestohlen“, meinte Brenda Power, doch der Polizist verneinte. Warum man dann nicht den Halter dingfest gemacht habe, wollte Power wissen. Die Eigentumsverhältnisse seien bei dem Auto recht undurchsichtig, antwortete der Polizist ausweichend. Die irische Drogenmafia hat das Filmchen, das um ein Vielfaches teurer war als die Beute, vermutlich mit großem Vergnügen verfolgt. Nur über das Sendedatum könnte man sich wundern: Der 1. April wäre passender gewesen.