die wahrheit: Der bayerische Marathonmann
Die Wahrheit-Woche zu Ehren Edmund Stoibers: Warum der CSU-Kanzlerkandidat die Bundestagswahl 2002 verlor.
Am 12. Januar 2002 erklärte der frisch zum Kanzlerkandidaten ernannte Dr. Edmund Stoiber nach einer CDU-Vorstandsklausur in Magdeburg wörtlich: "Also wissen Sie, äh, natürlich hat der Wahlkampf in seinen Anfängen begonnen, ähm wir, äh, sind, äh, spätestens, äh, in Magdeburg - haben wir einen Marathonlauf, äh, begonnen. Wir haben jetzt, äh, drei, vier Kilometer zurückgelegt. Äh, wir liegen, äh, nach drei, vier Kilometern recht ordentlich und recht gut, wir liegen in Führung, aber Sie wissen auch alle, am Ende muss man nach 42 Komma an der Spitze liegen. Und wer nach drei oder vier Kilometern an der Spitze liegt, hat noch keine Garantie, dass er nach, äh, 42 Kilometern noch an der Spitze liegt."
Aha. So war das also. Der Kanzlerkandidat Stoiber hatte "äh, in Magdeburg" nicht nur einen Wahlkampf "in seinen Anfängen" , sondern auch einen "Marathonlauf, äh," begonnen. Wo aber sollte Stoibers Wahlkampf und eben auch "Marathonlauf, äh," in seinen Enden enden? Welchen genauen Verlauf sollte der Wahlkampf und vor allem auch der "Marathonlauf, äh," nehmen? Fest stand zu diesem Zeitpunkt lediglich: "Wir haben jetzt, äh, drei, vier Kilometer zurückgelegt. Äh, wir liegen, äh, nach drei, vier Kilometern recht ordentlich und recht gut, wir liegen in Führung."
Überhaupt nicht klar ist jedoch: Wo genau lag denn eigentlich der Kandidat so ordentlich "in Führung"? Da hilft es nur wenig, wenn wir eine Landkarte zu Rate ziehen und darauf einen Kreis von drei, vier Kilometern maßstabsgerecht um Magdeburg herumzirkeln. Denn wir kennen ja nicht die Himmelsrichtung, in die der "Marathonlauf, äh," begonnen wurde, können lediglich vermuten, dass es die östliche Richtung ist, die der Kandidat einschlug. Schließlich liegt da die Hauptstadt Berlin, und wo wollte ein Kanzlerkandidat sonst hinlaufen? Gehen wir also auf der Landkarte von Magdeburg aus drei, vier Kilometer ostwärts. Dort liegt eine Ortschaft namens Biederitz. Folglich ist anzunehmen, dass sich Stoiber damals in Biederitz befand, und er exakt dort, wie er sagte, "recht ordentlich und recht gut in Führung" lag.
Die historisch entscheidende Frage indes bleibt offen: Wenn sich Stoiber tatsächlich von Magdeburg aus auf einen "Marathonlauf, äh," in Richtung Osten begeben hat, dann kommt er "am Ende", nämlich nach "42 Komma" beziehungsweise "nach 42 Kilometern" allerhöchstens bis zu der kleinen anhaltinischen Ortschaft Küsel, wie auf der Landkarte leicht nachzumessen ist. Was aber, so fragen wir uns, trieb um Himmels willen den Kanzlerkandidaten nach Küsel? Warum wollte er gerade dort "am Ende", nämlich "nach 42 Komma an der Spitze liegen" statt, wie man es von einem Kanzlerkandidaten doch eigentlich erwarten sollte, im noch gut 100 Kilometer entfernten Berlin? Hatte sich Stoiber in der zu absolvierenden Strecke verrechnet? Wollte er gar nicht nach Berlin? Befand er sich schon zu Beginn seines Wahlkampfs bloß auf dem Holzweg?
"Ähm " Genauso wird es wohl gewesen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!