die wahrheit: Amerikanismus mit Gottvertrauen
Was steckt eigentlich hinter dem ewigen politischen Vorwurf des Antiamerikanismus?
Der Vorwurf des "Antiamerikanismus" gehört zum gängigen Instrumentarium im politischen Handgemenge. Was die Floskel meint, weiß keiner. Doch sie wird durchsichtig, wenn man fragt, was man zu Recht "Amerikanismus" nennen kann.
Die unausgesprochene Geschäftsgrundlage der amerikanischen Verfassung lautet: "e pluribus unum" ("Aus vielem wird eines") und meint den Grundgedanken, dass für die Zugehörigkeit zu einem demokratischen Rechtsverband ethnische und soziale Herkunft sowie Religion keine Rolle spielen. Erstmals explizit zum politischen Programm erhoben wurde dieser Grundsatz 1795 auf einer Fünf-Dollar-Goldmünze. Drei Jahre später schmückte die Parole alle amerikanischen Münzen. Um den verringerten Goldgehalt neuer Münzen kenntlich zu machen, verschwand der Satz zwar 1837 wieder von den Münzen, stand dafür bis zum 30. Juli 1956 auf der Ein-Dollar-Banknote.
Ab dem 1. Oktober 1957 wurde er ersetzt durch den nur theologisch begründbaren Satz "In God We Trust" ("Auf Gott vertrauen wir"). Diese Formel stand schon seit 1864 auf der Zwei-Cent-Münze. Die Ablösung der urdemokratischen Formel, "Aus vielem wird eines", durch "Auf Gott vertrauen wir", beruhte auf einem politischen Salto mortale in die Vormoderne. Präsident Dwight Eisenhower erklärte schon 1953: "Ich bin der religiöseste Mensch, den ich kenne."
Das bedeutete einen Wechsel von der demokratischen zur theologischen Begründung der Republik und deren Neubegründung auf Glaubens- statt Rechtssätze. Dies markierte das Ende des demokratisch fundierten Republikanismus und den Beginn des vulgär-theologisch imprägnierten Amerikanismus. Das Klima für den Übergang bereiteten der Bruch des amerikanischen Kernwaffenmonopols, der Kalte Krieg sowie die heißen Kriege in Korea und Indochina. Den Stimmungsmacher dafür gab Senator Joe McCarthy mit seiner Hatz auf "unamerikanische Umtriebe", das heißt: nicht theologisch rückversicherte Politik.
Fromme Christen protestierten dagegen vergeblich mit dem Argument, der Slogan "Auf Gott vertrauen wir" auf Geldnoten und Münzen sei blasphemisch. Es half nichts, dass laizistische Republikaner, Atheisten und Linke die Parole verhöhnten mit dem Satz: "Auf Gott vertrauen wir - alle anderen zahlen bar." Der Amerikanismus blieb die Grundlage der Politik bis heute.
Wer von Antiamerikanismus faselt, bestreitet die Existenz dieser ideologischen Basis amerikanischer Politik. Er tut obendrein so, als sei dieser theologisch fundierte Amerikanismus immer die Grundlage der amerikanischen Politik gewesen, und verschleiert, dass sich der vermeintliche "Antiamerikanismus" nicht gegen "Amerika" oder das amerikanische Volk wendet, sondern einzig und allein gegen die regierenden Eliten und deren verheerende Politik. Tatsächlich verrät der theologisch unterlegte Amerikanismus die demokratisch-republikanische Rechtsgrundlage mit einem Glaubenssatz in der Preislage von "In God We Trust". Der Vorwurf des "Antiamerikanismus" plädiert mithin für eine voraufklärerische Theologisierung des politischen Denkens und ist reaktionär, oder er kaschiert sein wahres Interesse.
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