die wahrheit: Die zehn Gebote des frankfurter allgemeinen Küchenmoses
Moses ist schwer im Kommen. Jüngst wurden die Hartz-"Reformen" mit den Zehn Geboten verglichen, die Moses von Gott empfangen hat...
... Der für Weltliches aller Art bei Volkswagen zuständige Peter Hartz wäre demnach der Gott, der der rot-grünen Regierung die "Reform"-Gesetze eingeflüstert hat.
Jede Farce erzeugt einen, der sie überbietet. Hartnäckig arbeitet der Gastronomie-Kritiker Jürgen Dollase jede Woche daran, der FAZ-Leserschaft die "Neue Deutsche Schule" der Kochkunst vorzustellen. Über Nacht geht das nicht. Noch im Mai 2007 sagte Dollase den deutschen Köchen, "lebt wohl, ihr Sößchenfreunde!" und bescheinigte ihnen, sie zählten "international nichts mehr." Aber schon im Juni gingen die Köche daran "sich zu befreien", und vier Monate später konnte ihr Prophet Dollase das "Regelwerk der neuen Küche" vorlegen. Die zehn Gebote der "strukturalistischen Küche" drehen sich um das, was Kochen - mehr oder weniger gut - seit weit über hundert Jahren auszeichnet: "Alle Elemente einer Kreation werden unter sensorischen Gesichtspunkten präzise aufeinander bezogen." Genau.
Aber die "Neue Deutsche Küche" hat zwei Erzfeinde. Da ist Frankreich, das immer noch Platz eins beansprucht. Der Anspruch der klassischen französischen Küche wie der Nouvelle Cuisine ist für den Befreiungskrieger der "Neuen Deutschen Küche" nur "ein Instrument der Unterdrückung durch ein letztlich autoritäres Küchenverständnis." Die Küchen-Napoleone jenseits des Rheins bekommen Dresche und werden eingedeckt mit Hinweisen auf die Segnungen der deutschen regionalen Küchen. Dem Raffinierten und Überkandidelten der Franzosen setzt Dollase Teutonisch-Handfestes entgegen: Labskaus, Matjesfilet auf Schwarzbrot mit rohen (!) Zwiebeln und selbstverständlich alles vom "Schwein von den Ohren bis zum Schwanz." Bon appétit.
Der zweite Feind der "Neuen Deutschen Schule" ist gefährlicher und heißt Jürgen Dollase. Sein Anspruch, "das Essen vernünftig zu beschreiben", lenkt zunächst vom Essen ab, denn darüber muss jeder erst eine Runde lachen. Dollases Lieblingswort und Schwungrad "Textur" stammt aus der Textilindustrie. Bei ihm meint es Struktur oder Konsistenz, neben Temperatur und Aroma die wichtigste Eigenschaft alles Gekochten. Eine Trivialität also. Dollase schmiedet aus "Textur", "Texturspiel" und "Texturbild" papierene Stichwaffen, die fast weh tun in ihrer lächerlichen und Lachreiz auslösenden Prätention. Gebratene Gänsestopfleber mit Karotten an einer Kaffee-Sauce erzeugen "einen wichtigen Effekt der kulinarischen Dekonstruktion, nämlich den erheblich veränderten Blick auf Zusammenhänge durch texturelle Veränderung ihrer Bestandteile."
Wo "kulinarische Aufklärung" (Dollase über Dollase) so daherkommt, ist der Bluff nicht weit weg. Wer "das Pauillac-Lamm, das Sisteron-Lamm, das Salzwiesen-Lamm" nicht blind unterscheiden kann, hat keine Ahnung davon, wie die "strukturalistische Theorie und Praxis der kulinarischen Konstruktion" funktioniert und wie "die Nussigkeit" von Fisch "perfekt und originell dekliniert wird". Gehen wir essen? Nein, wir deklinieren noch ein wenig weiter.
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