die wahrheit: Spannend, Interessant, Wichtig
Bitte lesen Sie diesen Beitrag. Er ist spannend, interessant und wichtig. Diese drei Wörter habe ich auf einem kulturpolitischen Symposium gelernt und kürze sie im Folgenden siw ab...
... Kultur ist siw, das ist Konsens, man muss Kulturtools nutzen, um die nachfolgenden Generationen vom Fernseher wegzu - schrauben? Oder so.
Auf kulturpolitischen Symposien gibt es PKTs im Publikum und GBBs auf dem Podium. Richtig, Perlenkettentussis und Graubartbäuche. Die Graubartbäuche dürfen sogar Witze darüber machen, dass Frauen das Kulturpublikum stellen, während sie, haha, die gebildeten Männchen, sich auf dem Podium bewundern lassen. Die Moderatorin findet das siw und behauptet kühn: "Darüber werden wir noch länger nachdenken." Was man halt so sagt.
Schlimmer als die geklonten Personen im Publikum und auf dem Podium sind nur noch die, die glauben, sie seien ganz anders als die vielen Ladys in cul-ture black und die professoralen Graumännchen. Sie werfen die Lockenpracht zurück und sagen: "Ich darf jetzt einmal provozieren!" Dann geben sie ihre Lieblingssottise zum Besten, die sie daheim schon mindestens zehnmal an der Ehefrau ausprobiert haben. Schatzi, bin ich nicht wieder ein wahnsinniger Querdenker heute Morgen, hm? Und wie zu Hause sehen sie sich beifallheischend um. Liebt mich! Na, darüber werde ich nicht länger nachdenken.
Auch weibliche Provokateure gibt es selbstverständlich bei jedem Symposium. Obacht, wenn eine weiße Stiefel trägt statt schwarzen Schuhwerks! Dann glaubt sie, sie habe was durchschaut und teilt das auch der Welt gnadenlos mit. Immer noch besser als das älter gewordene brave Mädchen, das die Professoren in der Diskussion hofiert. Spannend, interessant, wichtig! Hinterher beim Kaffee tauscht man Telefonnummern, ganz wie früher. So geht es selbstverständlich auch, so kommt die Kultur ins Volk.
Stets meldet sich dann noch der Regie-Theater-Feind zu Wort, egal zu welcher Gelegenheit. Es gibt einen Verein der Regie-Theater-Feinde, die zu jeder kulturpolitischen Diskussion jemanden vorbeischicken, der ruft "Im Übrigen möchte ich noch sagen, dass wir unsere Klassiker im Original gucken wollen!", auch wenn es vorn gerade um kulturelle Stadtentwicklung im Ruhrgebiet geht. Das Einstiegsalter für diesen Club der Regie-Theater-Feinde ist 80 plus.
Soziokultur dagegen ist out, nicht einmal das Wort mag noch jemand, weswegen sich die Arbeitsgemeinschaft Soziokultur mal zügig umbenennen sollte in AG Folgen der Globalisierung oder AG Nachhaltige Kulturwirtschaft an der Peripherie. Weiß ja eh keiner, was die machen, aber jedenfalls schaffen sie es ohne Perlenketten, es kann also nicht ganz verkehrt sein. Vor 20 Jahren waren sie siw, heute nicht mehr. Einer der Kulturprofis erklärt auch gleich, dass es sie nur noch gibt, weil jeder Politiker das Aufheulen bei der Mittelkürzung fürchtet. Immerhin, so lässt sich auch mit Heulen noch Kulturpolitik machen. Kultur für wen eigentlich? Das Podium weiß es: "Für das Individuum, surrounded von Zwängen." Darüber werde ich wohl noch länger nachdenken. Jedenfalls, wenn sie mich hier herauslassen.
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