die wahrheit: Die fette Insel
Vorigen Montag war an dieser Stelle die Rede davon, dass 2.000 Engländer zu fett zum Arbeiten sind. Ähnliche Hiobsbotschaften kommen alle Jahre wieder.
I m Mai 2006 meldete das Londoner Gesundheitsministerium entsetzt, dass England das schnellste Wachstum in Europa verzeichne - was die Körperfülle angeht. Das hat sich nun ausgezahlt: Inzwischen sind die Engländer die dickste Nation in der EU und haben sogar die USA überholt. Knapp ein Viertel der Einwohner sind fettleibig - fast doppelt so viele wie in Deutschland und zweieinhalbmal so viele wie in Frankreich. Und Dicke sterben im Schnitt neun Jahre eher als Dürre.
Bei 900.000 Kinder unter elf Jahren ist die Pavarottisierung bereits weit fortgeschritten. Gesundheitsminister Alan Johnson will Kinder ab sofort im Alter von fünf und zehn Jahren wiegen und den Eltern das Ergebnis schriftlich mitteilen lassen, damit sie merken, ob die Kleinen zu fett sind. Würde dafür nicht eine Brille ausreichen?
Wahrscheinlich trinken die Kids zu viel. England ist das einzige europäische Land, in dem der Alkoholverbrauch steigt. Im Schnitt schluckt jeder Inselbewohner 11,37 Liter reinen Alkohol im Jahr. Wenn man das auf das dünne englische Bier umrechnet, kommt eine unvorstellbare Menge Flüssigkeit zusammen. Obendrein sind englische Teenager schwangerer als ihre Artgenossinnen in der EU, empörte sich der Telegraph. Fällt das für das Blatt unter Fettleibigkeit?
Gegen die Körperfülle müsse etwas unternommen werden, findet ein Professor mit dem trefflichen Namen Julian Le Grand. Er ist Vorsitzender von "Gesundheit England" und hat früher Tony Blair beraten. Er will der "Epidemie der Fettleibigkeit" zu Leibe rücken und "Krankheiten, die durch übermäßigen Verzehr verursacht" werden, schleunigst eindämmen.
Wenn es nach ihm geht, müssen Raucher künftig eine behördliche Erlaubnis vorlegen, wenn sie Kippen kaufen wollen. Die Lizenz soll ein Jahr gültig sein und muss vom Doktor gegengezeichnet werden - also Zigaretten auf Krankenschein? Den gibt es freilich nur gegen eine Gebühr, das Geld soll der Gesundheitsdienst bekommen. Außerdem soll der Alkoholverkauf eingeschränkt werden. Wer Lebensmittel kauft, darf sich kein Sixpack in den Korb legen, sondern muss sich an einer gesonderten Dünnbierverteilstation erneut anstellen. Muss man dort ein Attest mit Leberwerten vorlegen?
Darüber hinaus sollen Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten ihre Leute täglich zu einer Stunde Leibesübungen ermutigen. England wird zur Turnhalleninsel. Und Salz in Fertiggerichten gehöre verboten, meint Le Grand. Er nennt seine Vorschläge "libertäre Bevormundung". Man könne dem Staat nicht vorwerfen, sich als Kindermädchen der Nation aufzuspielen, denn die Menschen können sich ja aktiv dafür entscheiden, zu rauchen, dem Betriebsturnen fernzubleiben und Salz auf das Essen zu kippen.
"Manche werden dennoch behaupten, das sei Bevormundung zum Quadrat", glaubt Le Grand. "Aber du wirst ja nicht gezwungen, irgendetwas zu tun. Es geht nicht um Prohibition. Es ist eine weiche Form der Bevormundung." Sie ist einer weichen Birne entsprungen.
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