die wahrheit: Frühe Geister
"Zunächst versetze ich die anfangs konturlosen Figuren in eine bedrohliche Lage", hatte König einmal seine Arbeitsweise erläutert. "Und dann bin ich, der Beobachter, gespannt...
"Zunächst versetze ich die anfangs konturlosen Figuren in eine bedrohliche Lage", hatte König einmal seine Arbeitsweise erläutert. "Und dann bin ich, der Beobachter, gespannt, wie sie sich zu befreien suchen. Was geschieht, halte ich schriftlich fest." Kurz danach verwendete jemand Königs Methode.
Es war noch ziemlich früh am Morgen, als drei Figuren sich bereits einige Zeit vor dem Frühstück aus den Federn erhoben, um sich zufällig im Kaffeehaus zu begegnen. Drei, die mit dem Verfassen von Texten Geld verdienten - mehr der eine namens König, weniger der andere namens Hansen, so gut wie nichts der dritte namens Benjamin.
Wenige Stunden zuvor war der "Tag des geistigen Eigentums" angebrochen. Der Geist der drei Kollegen allerdings war zu einer solch frühen Stunde nicht recht kregel, er war so wenig munter, dass sie das Eigene am jeweiligen Eigentum nicht zu trennen vermochten von dem, was sie je gehört oder gelesen hatten, erst recht nicht, was sie entliehen, kryptisch zitiert oder geklaut hatten. Oder war diese Unentschiedenheit gar nicht der allzu frühen Tageszeit geschuldet, sondern … wo lang, bitte, fließen die Grenzen?
Benjamin, der Jüngste der drei, trottete zunächst in die nahe Vergangenheit. Er habe neulich den "Welttag des Buches" und den "Tag des deutschen Bieres", die ja ohnehin miteinander verknüpft seien, "synchron quasi", sehr gründlich gewürdigt und einem Kollegen den Unterschied zwischen bacchischer Trunkenheit und bacchanalischer Besoffenheit in der Praxis auseinandergesetzt: "Das war sehr schön."
Statt darauf einzugehen, kam König nach einem zweiten doppelten Espresso auf den gegenwärtigen "Tag des geistigen Eigentums" zu sprechen. Was ihn ab und zu beschäftige, sagte er mehr zu sich selbst, gehe so: "Es ist so viel geschrieben worden, dass kein Mensch mehr weiß, ob er nachbetet."
Ob denn nicht eher, meinte Hansen daraufhin, entweder die Einzelfälle oder andererseits Stilfragen entscheidend wären. Er zum Beispiel habe meist den Eindruck, das objektiv Gegebene "aufzukleben" und "die Ränder sich verwischen" zu lassen. Er wisse sehr wohl, dass er sich schon früh "in einer Art von höherem Abschreiben" geübt habe.
"Dummes Zeug! Und dazu hochtrabend", wandte Benjamin ein. Er würde lediglich sagen, dass er nichts zu sagen habe, sondern nur zu zeigen.
War ihm, König, diesmal danach, das Geschehen schriftlich festzuhalten? Handelte es sich nun um eine genügend missliche Lage, aus der sich das Trio zu befreien hatte? Beinahe hätten sie den Rest einer Wehklage vom benachbarten Stehtisch aufgeschnappt: "… was ich grad nehmen muss: eine fürs Herz, eine für die Blutverdünnung und drei für den Blutdruck." Vielleicht wäre daraus eine Geschichte geworden?
Es bleibt offen. Verlässlich aufgehoben ist dagegen, dass die drei Figuren schließlich einander versicherten, nirgendwo sonst als in diesem Kaffeehaus werde ein besserer doppelter Espresso macchiato gebraut, außer im Paradies beziehungsweise in der Hölle, je nachdem, welcher der beiden Aufenthaltsorte dem Genießenden verlockender scheint. Ist doch auch was.
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