die wahrheit: Brettern durch Zimmern

Beim Bike-Watching im Altmühltaler Motorschutzgebiet. Die Wahrheit-Naturreportage.

Gemeinsam belauschen sie das Motorenkonzert in der heimischen Feldmark. Bild: ap

Holger Liebhardt hebt die Hand. Die acht Männer, die auf dem Trampelpfad hinter ihm her gelaufen sind, bleiben stehen, jedes Gespräch verstummt. Gespannt lauscht die Gruppe im Schutz eines Wacholderbuschs. Jetzt hören es alle: das noch ferne Geräusch eines Motorrads, dann das Aufheulen, als die Maschine kurz nach dem Dollnsteiner Ortsausgang mit Vollgas beschleunigt. "Eine Honda CBR 900 RR Fireblade", urteilt Holger Liebhardt mit Kennermiene. "Ein seltener Gast hierzulande, aber das Ventilspiel müsste mal wieder nachgestellt werden." Konzentriert blättern die Männer in ihren Bestimmungsbüchern, einige machen sich Notizen.

Die Männer wollen die faszinierende Welt der Motorräder nahe Zimmern im idyllischen Altmühltal beobachten. Der Steilhang hinter dem kleinen Weiler ist ein idealer "Horchposten" für die Bike-Watcher, weil man von hier das muntere Röhren der Motoren aus beiden Richtungen am besten erlauschen kann. Das wildromantische Gelände mit seinen Trockenrasengebieten, den zahlreichen Felsen, den Wacholderbüschen und der mäandernden Streckenführung entlang der Altmühl zieht zahlreiche Motorsportfreunde magisch an und gehört deshalb mittlerweile zu den besten Beobachtungsgebieten in Süddeutschland. Unlängst wurde das Altmühltal von der bayerischen Staatsregierung zum ersten Motorschutzgebiet Deutschlands ausgewiesen.

Holger Liebhardt veranstaltet seitdem regelmäßig motorkundliche Lehrwanderungen, auf denen er den Teilnehmern die feinen Unterschiede der verschiedenen Motorradtypen näherzubringen versucht. Und die Gruppe wird im Laufe des Tages nicht enttäuscht: Unzählige Zweiradfahrer tummeln sich auf dem Asphalt. BMW, Kawasaki, Suzuki, Moto Guzzi, ganze Harley-Davidson-Geschwader - die Crème de la Crème des internationalen Motorradbaus gibt sich hier ein Stelldichein. Die auffallend lackierten Feuerstühle vor dem imposanten Hintergrund spektakulärer Felsformationen, das heisere Röcheln der Motoren, das durch die jungfräuliche Morgenstille bricht, das ist ein Erlebnis ganz eigener Art.

Die Bike-Watcher mit ihren Feldstechern, Kameras und Aufnahmegeräten bekommen einiges geboten: Drei Ducati Monster fliegen über den Asphalt. Deutlich sind die grauen Tanks und die charakteristisch geschwungenen Auspuffrohre zu sehen. Sie haben es ziemlich eilig. Eine offensichtlich einsame Triumph Daytona versucht zunächst, sich einem BMW K1200RS-Trio anzuschließen, schafft es aber nicht und hängt sich schließlich in den Windschatten einer Kawasaki VN 2000, die mit dumpfem Bollern durch das Schutzgebiet schiebt. Bei strahlendem Sonnenschein gleiten zwei schneeweiße Harleys vor dem makellos blauen Himmel - ein herrliches Bild. Eine historische NSU schlingert mit sprotzendem Auspuff durch die Kurven, bald darauf tuckert eine Oldtimer BMW 500 mit Beiwagen vorbei.

Bei einer Rast plaudert Holger Liebhardt aus seinem Leben: "Als Vierzehnjähriger nahm ich zum ersten Mal an einer motorkundlichen Wanderung teil, die von der katholischen Landjugend angeboten wurde. Horst Schmude, der diese Exkursionen leitete, nahm uns zu einer Bikermesse mit - ich war fasziniert und meine Liebe zur Welt der Zweiräder war geboren. Gemeinsam belauschten wir das Motorenkonzert in der heimischen Feldmark und erlebten den Zug der Biker in der Abenddämmerung. Wir hockten stundenlang auf einem Hochsitz, um Biker bei der Motorbalz zu beobachten."

Aus der jahrzehntelangen Beschäftigung mit Motorrädern erwuchs bei Holger Liebhardt allmählich der Wunsch, die Geräusche der einzelnen Modelle seinen Mitmenschen weiterzugeben. Er entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einem begnadeten Motorengeräusch-Imitator. Mittlerweile kann er mühelos vormachen, wie eine Kawasaki Z750 aus der Ferne klingt und wie es sich anhört, wenn die Maschine ganz nah am Standpunkt vorbeipfeift oder vor dem Ortsschild abbremsen muss. Er kann das Gewummer einer Honda Gold Wing ebenso täuschend nachahmen wie das hysterische Knattern eines Lambretta-Rollers Baujahr 55. Er kann die Beschleunigungsgeräusche einer Suzuki Intruder M1800R ohne weiteres in die einer MV Augusta Brutale 910R übergehen lassen. Er kann die Geräusche praktisch aller Marken und Modelle auf Zuruf imitieren. "Mein Anliegen ist es, den Mitmenschen Freude am Motorradlärm zu vermitteln", doziert der Motorenkundler.

Bei der idealen Bike-Watching-Felsformation "Zwölf Apostel" nahe Sollnhofen, wo sich unsere Motorenthusiasten gegen Abend einfinden, ist mittlerweile Ruhe eingekehrt. Die Biker auf ihren röhrenden Maschinen haben sich zurückgezogen. Einzig ein Blaukehlchen erfreut mit seinem Gesang. Als sich die Männer zum Heimweg rüsten, zerreißt plötzlich ein dumpfer Schlag, ein Splittern und Krachen die abendliche Idylle. Ein Motorradfahrer, der es wohl allzu eilig hatte, hat nach einem Überholmanöver die Kontrolle über seine Maschine verloren und sich um einen zu dicht am Straßenrand stehenden Baum gewickelt. "Wir nennen das ,aufbaumen' ", erläutert Holger Liebhardt kopfschüttelnd. "Der konnte wohl nicht schnell genug in den Biergarten kommen."

Das Lalülala des Rettungsdienstes bildet so den unerwartet melodischen Ausklang eines äußerst eindrucksvollen Tages in der Natur.

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