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die wahrheitPfeifen vor dem Herrn

Fußballgötter und Schiedsrichter. Anmerkungen zur Transzendenz auf Rasenplätzen.

"Dass wir einen Gott ahnen, ist nur ein unzulänglicher Beweis für sein Dasein. Ein stärkerer ist, dass wir fähig sind, an ihm zu zweifeln." (Arthur Schnitzler: "Buch der Sprüche und Bedenken")

Der erste Fußballgott wurde 1954 im Berner Wankdorf-Stadion gesichtet. Und zwar von Reporter Herbert Zimmermann, just als der Ungar Hidegkuti den Ball aus drei Metern aufs deutsche Tor drosch. Das höhere Wesen inkarnierte sich in Gestalt des Torwarts Anton Turek, der das Geschoss um den Pfosten lenkte. "Toni, du bist ein Fußballgott", jauchzte Zimmermann.

Die Brasilianer hatten dagegen im Viertelfinale einen englischen Teufel auflaufen sehen: Schiedsrichter Arthur Ellis. Er pfiff die wüste Treterei der Seleçao gegen die Magyaren, die 2:4 nach Verlängerung endete. Hinterher klagten die Brasilianer bei der Fifa, der britische Referee habe sich "im Dienste des internationalen Kommunismus gegen die abendländisch-christliche Zivilisation" vergangen.

Das war eine Beleidigung der damals noch rabenschwarzen Schiedsrichterzunft. Zum einen, weil für Ungarn ein gewisser Puskás stürmte, der später im erzkatholischen Spanien ebenfalls zum Fußballgott aufsteigen sollte. Zum anderen verloren die Kommis das Finale politisch korrekt gegen eine christdemokratisch regierte BRD. Der entscheidende Mann war aber gar nicht der heilige Anton, sondern Referee William Ling, der kurz vor Schluss ein reguläres Tor von Puskás wegen Abseits nicht anerkannte. Auf die Idee, Mr. Ling in den Himmel zu heben, ist bis heute noch niemand gekommen, obwohl die Vergötterung des Fußballs längst inflationäre Dimensionen angenommen hat - selbst in Gegenden, die nicht nur fußballerischer Hinsicht als gottverlassen gelten.

In Hannover stellten sie den Grobmotoriker Carsten Linke neben Maradona, Pele und Zidane auf den Altar. Beim Drittligisten VfL Osnabrück trug man Transparente herum, auf denen stand "Wolfgang Schütte Fußballgott". In Erkenschwick hieß der Fußballgott Horst Koschmieder, in Duisburg tatsächlich einmal Klaus Wunder. Das mag balltechnisch vertretbar sein, eschatologisch betrachtet bleibt es höchst fragwürdig. Denn "die Göttlichkeit" manifestiert sich, anders als Kicker und Sportbild allwöchentlich dekretieren, nicht durch massenkompatible Dribblings oder Torschüsse, sondern nur "durch den Einzelnen, der dem Durchschnittsgeschmack zuwiderhandelt". (Antoine de Saint-Exupéry).

Zum Beispiel durch begnadete Exzentriker wie der Referee Rafa Guerrero. Die Spezialität des Iberers sind ereignisarme Matches, die er durch übersinnliche Wahrnehmungen in Schwung zu bringen pflegt. Zur Berühmtheit wurde er im Jahr 1997. Die Partie hieß Real Saragossa gegen FC Barcelona. Guerrero gab den Linienrichter. Ein Barça-Spieler ging zu Boden. Guerrero wedelte aufgeregt mit der Fahne. Als der Referee an die Linie eilte, entspann sich folgender Dialog, der über die Außenmikrofone einer Fernsehstation in ganz Spanien zu hören war:

Schiedsrichter (nervös): "Was ist los?"

Linienrichter Guerrero: "Es war die Nummer 6. Elfmeter und Platzverweis."

Schiedsrichter (noch nervöser): "Rafa, erzähl keinen Mist. Ich scheiße auf meine Mutter, wenn das nicht stimmt."

Es stimmte - wie fast immer - nichts. Die Tätlichkeit war ein reguläres Tackling, und der Ausführende trug die Nummer 4. Die Nummer 6 Xavi Agudo flog unberechtigt vom Platz. Die Firma Renault verpflichtete Rafa Guerrero daraufhin für ein paar Werbefilme. Einer ging so: Eine Stimme aus dem Off sagt: "Damit er nicht die schönsten Spielszenen zerstört." Im Bild sieht man, wie Kidnapper den Unparteiischen in ein Auto zerren und ihn samt Fahne im Wald aussetzen.

Im Wald steht die Schiedsrichterzunft mentalitätsgeschichtlich seit eh und je, was die Akteure auf dem Feld zuweilen übermütig werden lässt. Erinnert sei nur an den Brasilianer Ademir, der an einem eiskalten Februartag des Jahres 2001 drei Tore für Stuttgart schoss. Den Zuschauern blieb Ademir jedoch durch ein bis dato in Deutschlands Arenen nie gesehenes Ritual unvergesslich. Nach jedem Treffer riss er das Trikot über den Kopf, um die Inschrift auf seinem Unterhemd freizulegen. Sie lautete: "Gott ist treu". Danach schoss der Stürmer allerdings wochenlang nichts als Fahrkarten. Wenn er doch mal das Tor traf, schüttelte der Schiedsrichter lächelnd den Kopf und pfiff Abseits. Trainer Magath setzte ihn auf die Tribüne. Warum es nur so und nicht anders kommen konnte, hätte Ademir bei Paulus, Galater 6,7 nachlesen können. Dort heißt es über die Wesenheit des Herrn: "Irret Euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten."

Womit wir fast am Ende und bei Ademirs Landsmann Edilson Pereira de Carvalho angekommen wären. Der Fifa-Referee inszenierte sich jahrelang offensiv als Heiland mit der Pfeife. Das heißt, er trat vor jedem Spiel in den Mittelkreis, um dort, rote und gelbe Karte wie Wundmale nach oben reckend, minutenlang Zwiesprache mit dem himmlischen Vater zu halten. Dann ging er hin und verpfiff mindestens 25 Begegnungen der ersten brasilianischen Liga und der Copa Libertadores. Für 10.000 bis 15.000 Real und im Auftrag einiger Industrieller, die mit Internetwetten ein Vermögen machten. "Beten hilft nicht mehr", schrieb die Zeitschrift Veja, als man de Carvalho verhaftete.

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1 Kommentar

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  • S
    Simon

    Bewunderswert. Wie hat der Autor es nur hin gekriegt, all die schönen, alle die bezeichnenden Beispiele zu summieren? Bliebe eventuell noch anzumerken, dass von all jenen, die sich während des Spiels als fahnenschwenkende Brüller gebärden, gewiss nur die wenigsten fähig wären, wenigstens einen Klimmzug zu bewerkstelligen.