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die wahrheitDer homosexuelle Mann ...

Kommentar von Elmar Kraushaar

… wird wieder zurück zur Schlachtbank geführt. Den CSD-Propagandisten und -Profiteuren kommt langsam der Sinn ihres Tuns abhanden, von Jahr ...

… wird wieder zurück zur Schlachtbank geführt. Den CSD-Propagandisten und -Profiteuren kommt langsam der Sinn ihres Tuns abhanden, von Jahr zu Jahr mehrt sich die Kritik an der Parade: zu viel Kommerz, gar keine Politik. Deshalb wird für die Saison 2008 eiligst die Figur des homosexuellen Opfers recycelt, um den schwullesbischen Karnevalsumzügen wieder eine Legitimation zu geben.

So lautet in diesem Jahr die Schlagzeile auf dem CSD-Magazin, dem Hochglanz-Zentralorgan der nationalen Paraden: "Sie hassen uns!" Dazu werden zwei smarte Pin-up-Boys gezeigt, der eine legt dem anderen dekorativ eine Schlinge um den Hals. Und "sie" - das verrät die Unterzeile , das sind "mörderische Regime, fanatische Religionsführer, millionenschwere Rapper, desillusionierte Jugendgangs, ultrakonservative Politiker, gewaltbereite Neonazis". Der altbekannte Diskri-Cocktail, neu geschüttelt.

Just jene, die seit Jahren den modernen Gay predigen, den urbanen Queer, dem es so gut geht wie nie mit Homo-Ehe und prominenten Galionsfiguren, entdecken plötzlich die Kehrseiten und erfinden das schwule Opfer neu. Weil ihnen aber die Klischees, mit denen sie seit Jahren ihre lukrativen Event-Märsche bewerben, nicht mehr passen, beschweren sie sich in ihrem Magazin jetzt darüber, "was die Medien aus uns machen", nämlich genau ihre Vorgaben ein zu eins alljährlich umzusetzen.

Der neuen Aufmerksamkeitstaktik entsprechend war das Motto des diesjährigen Berliner CSD "Hass du was dagegen". Es wurde flankiert vom Jahresbericht 2007 des schwulen Anti-Gewalt-Projekts "Maneo", der ordentlich auf die Kacke haut: "Das Klima wird rauer - die Fäuste fliegen schneller!" Dazu werden Zahlen geliefert, nach "Maneo"-Aussage Ergebnisse ihrer "Grundlagenforschung", die in ihrer Glaubwürdigkeit zu wünschen übrig lassen. Ein Anstieg von Gewalttaten gegen Schwule wird suggeriert, ohne vergleichende Zeiträume zu benennen. Mehr Gewalt gegen Schwule seit Einführung der Homo-Ehe? Seit Merkels Machtantritt? Seit Mark Medlocks "DSDS"-Sieg? Die Fragen, mit denen sich "Maneo" für seine "Studien" per Internet an Schwule wendet, wurden vor fünf, zehn oder zwanzig Jahren noch von niemandem gestellt - ergo ist die heutige Zeit offensichtlich die gefährlichste von allen. Das ist nicht seriös, aber praktisch für die Medien. Die lieben Zahlen, haben mit derlei Nachrichtenmaterial endlich wieder was zu berichten und müssen nicht zum x-ten Male ihre zoologischen Beobachtungen von den "schrillen" Umzügen wiederholen.

Damit die Schwulen nicht mehr "auf der Straße beleidigt, angespuckt oder getreten" werden, setzt "Maneo" ganz auf die Polizei: mehr Präsenz auf den Straßen der "Problemkieze", eine bessere Ausbildung der Beamten, so die Ansuchen. Dazu die üblichen Forderungen an die Politik nach mehr Geld und Aufmerksamkeit. Offensichtlich gar nichts hält "Maneo" von schwuler Gegenwehr in eigener Regie, "mit Sorge" betrachten die Gewaltexperten die vermehrte Nachfrage nach Hilfe zur Selbstverteidigung. Das Rollback findet statt, zuallererst und mit ganzer Kraft promotet von schwuler Seite selbst. Darauf muss man erst mal kommen.

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4 Kommentare

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  • DH
    Dean Hutchinson

    Als älterer Schwuler (Jahrgang 1955) stößt Dein Artikel bei mir auf Unverständnis. Daß Umfragen über Gewalt gegen Schwule vor zwanzig oder dreißig Jahren nicht existierten, schier unmöglich waren, zeigt nur, wie "unaussprechlich" und tabuisiert nicht nur das Thema Gewalt gegen Schwule damals war, sondern die Homosexualität an sich (ganz dem kirchlich-mittelalterlichen Gebot gehorchend, das "peccatum mutum", die "stumme Sünde", als guter Christ nicht beim Namen zu nennen.) Es zeigt aber auch, wie "richtig" oder zumindest "verdient" solche "Straf- u. Züchtigungsmaßnahmen" der dummen (oder, politisch korrekter: "unaufgeklärten") und dadurch umso gefährlicheren Mehrheit der Heteros damals erschienen. Das heißt, wenn sie dieses "Schwuleklatschen" und die sie fördernde öffentliche Verhöhnung Homosexueller, ganz wie die Deutschen in den 1930ern beim Anblick verhöhnter, verfolgter und verschleppter Juden, durch Weggucken u. -hören nicht gänzlich verdrängten. Es verdeutlicht auch auf schmerzhafte Weise, wie entrechtet, wie versteckt, wie unfrei wir damals leben MUSSTEN. Nicht aus Scham oder mangelndem Selbstwertgefühl, sondern aus berechtigter Angst vor tätlichen Übergriffen seitens unserer heterosexuellen "Mitbürger" (die meistens, den Nazis nicht ungleich, in Gruppen auftraten) waren unsere Kneipen, bis in die frühen 80er Jahre, fast alle durch strenge Gesichtskontrollen und verriegelte Türen gesichert. Wir lebten damals wahrhaftig im "güldenen Käfig," und haßten es, wohl wissend, was uns da draußen, in der Welt der Heteros, an Feindseligkeit, tagtäglicher Unterdrückung, Unsichtbarmachung, bösartigem Getuschel und Verachtung erwartete. Schon vergessen, wie Du Dich damals, in einem Schwulenratgeber (siehe unten), über diese "festen Burgen" (die versteckten Schwulenkneipen), und damit über UNS, mokiertest?[1] Mir fällt auf, daß Du Dich immer noch, tendenziell, "schützend" vor die, die uns verfolgt haben, stellst, während Du umso härter mit den Schwulen ins Gericht gehst, wo es doch eindeutig die Heteros (und auch ein paar versprengte, verkappte Schwule/Lesben) sind, die uns bis vor kurzem aktiv verhöhnt, verfemt, verfolgt, aus dem Elternhaus oder der Schule geworfen, die Arbeit gekündigt, aus der Kirche oder Synagoge exkommuniziert, aus dem Militärdienst entlassen, unsere Wohnungen wegen unseres angeblich "unzüchtigen Lebenswandels" zwangsgeräumt, uns auf der Straße, vor der Schwulenkneipe, in der elterlichen Wohnung, verprügelt oder gar ermordet haben? Die Unsichtbar- und Verächtlichmachung (wenn auch auf einer weit verlogeneren und hinterfotzigeren Ebene), oder Reduzierung der Homosexualität aufs Private, Oberflächliche, Klischeehafte, "Exzentrische", Komödiantische (und somit aufs Harmlose, Gegenstandslose?), im heteronormativen Alltag geht weiter. Der gewünschte Nebeneffekt jedenfalls, die Aufrechterhaltung der heterosexuellen Vorherrschaft, bleibt.

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    [1] Siehe die "Ein'-feste-Burg"-Bilderreihe in, Matthias Frings u. Elmar Kraushaar: "Männer. Liebe: Ein Handbuch für Schwule und alle, die es werden wollen," Rowohlt, 1983.

  • J
    jb-berlin

    Mit dem Alter kommen möglicherweise betagte schwule Männer ganz einfach in die Situation, dass sie nicht mehr mitbekommen, wie fernab von den Realitäten, eben auch denen jüngerer Generationen, sie ihr Leben eingerichtet haben. Von ihrem nett eingerichteten Wohnzimmer aus verstärkt sich ihr Blick aus dem Fenster hinaus in die Welt mit allerlei subjektiven Illusionen und Wunschträumen. Isolation wird als erholsamer Rückzugsort verkauft. Konturen und Perspektiven von Realitäten verschwimmen zusätzlich, weil sie aus lauter narzistischer Gekränktheit ihre Brille nicht mehr aufsetzen. Einbildung wird als Bildung erklärt. Ihr unbeholfenes Poltern soll den Eindruck vermitteln, nicht ihre Einfallslosigkeit, sondern ihre Genialität würde verkannt. Sollte man es ihnen übel nehmen, wenn sie dann wehleidig in die Runde stammeln?

     

    Was soll ich empfehlen?

     

    Vielleicht einfach mal wieder unter Menschen gehen!

    Grass hat mal zu Lafontain gesagt: "Halt's Maul und trink ein Glas Rotwein".

  • D
    didi

    Das "schwule Opfer" muss nicht neu erfunden werden, weder von den Organisatoren des CSD noch von der TAZ. Schwule und Lesben sind Opfer in dieser Heterodemokratur. Ob es sich bei den schwulen "Gallionsfiguren" um das path. Phänomen der Identifikation mit dem Aggressor handelt oder ein geschicktes Unterminieren, wird die Zeit zeigen. Solange aber die Lebenspartner gleiche Pflichten aber ungleich weniger Rechte als Ehepartner haben, solange auch der Begriff "Ehe" den Schwulen verweigert wird usw., solange kann man nur von Diskrimminerung Schwuler sprechen. Schwule Lebenspartner lassen sich ideal vom Staat ausbeuten: Versorgungspflichten gibt der Staat an den Partner ab, allerdings keine Witwerpensionen für Schwule, keine Erbschaftssteuergleichstellung wie bei Eheleuten oder Verwandten, zwei mal Steuerklasse I, kein Adoptionsrecht u.v.a.m. Da brauchen wir nicht in die östlichen EU-Staaten zu gucken. Diskrimminierung findet hier und jetzt zum Vorteil des Staates ständig statt.

  • SK
    Stefan Knoblich

    Lieber Elmar,

     

    es hat mal wieder viel Spaß gemacht, deine Glosse zu lesen ... !!!

    Du bist einer der wenigen in der Szene, der sich gegen die ganze Heuchlerei der Berufs-Schwulen - die vom Jammern zum Teil mit BAT II ganz gut leben ... - wehren, Danke !!!

     

    Zum Thema Opfer fallen mir mal wieder die unsäglichen "RespectGaymes" des lsvd ein ... Inzwischen scheint sogar dort angekommen zu sein, dass "Respekt" auf Gegenseitigkeit beruht und nicht von Rassisten und Missionaren einseitig eingefordert werden kann ...

     

    Allerdings ist die aktuelle Online-Umfrage mal wieder bezeichnend: Glaube keiner Statistik, die du nicht selber manipuliert hast!

    Dort wird "mann" mit "Pflichtfragen" dazu genötigt, auf seltsame Statements vorgegebene seltsame Antworten zu geben, sonst kann der Fragebogen nicht abgeschickt werden ...

    Ich freue mich schon auf die abstruse Pressekonferenz, in der die Resultate, der "wissenschaftlichen" Erhebung präsentiert werden ...

     

    Mach weiter so und lass dich nicht nur auf die Satireseite abdrängen !!!

    Stefan Knoblich (Diplom-Politologe)