die wahrheit: wildschweinerei
Von Wildschweinen weiß man, dass sie erstens scheu, zweitens intelligent und drittens etwas zahlreich sind momentan. Im Frankfurter Stadtwald wurden...
Von Wildschweinen weiß man, dass sie erstens scheu, zweitens intelligent und drittens etwas zahlreich sind momentan. Im Frankfurter Stadtwald wurden - so das "Grünflächenamt" und die "Untere Jagdbehörde" -, "da Wildschweine immer häufiger Wohngebiete in den westlichen Stadtteilen besuchen", im vergangenen Jahr 269 Tiere abgeschossen.
Woran es liegt, dass von Natur aus scheue Wildschweine städtische Vororte "besuchen", statt abzuwandern, wenn es ihnen zu laut und das Nahrungsangebot zu knapp wird, weiß man nicht so genau. Aber ein Grund liegt sicher darin, dass der besagte Stadtwald auf drei Seiten von Autobahnen umschlossen wird - eine Flucht also nur unter Lebensgefahr möglich wäre. Was Wildschweine dank ihrer Intelligenz natürlich nicht tun.
Mit dieser wildschweinischen Intelligenz hat es auch zu tun, dass jüngst eine Abordnung von acht Wildschweinen - eine "Rotte" - am helllichten Tag Rüsselsheim "besuchte", wie es auf Amtsdeutsch heißt.
Rüsselsheim liegt am linken Mainufer: 62.000 Einwohner, Herkunftsort von Andrea Ypsilanti, vor allem aber Opel-Stadt. Der "Besuch" der Rotte ist die Antwort der intelligenten Tiere darauf, dass man sie praktisch in ein Autobahndreieck einsperrte. Sie machten deshalb ihren Anspruch auf Daseinsberechtigung in der Autostadt deutlich und nicht etwa in der Geldmetropole Frankfurt.
Nachdem die acht Wildschweine einen Vorgarten umgepflügt hatten, trat die Polizei mit zwölf Mann in Aktion und wollte die Rotte einkesseln. Die intelligenten Tiere durchschauten das Manöver, durchbrachen die Sperre und machten sich auf in die Innenstadt - selbstverständlich über die "viel befahrene Adam-Opel-Straße". Über Schulgelände, Bahngleise und zahlreiche Vorgärten raste die Rotte mitten durch die Stadt. Eines der Tiere rannte in die verschlossene gläserne Eingangstür eines Kinos, vielleicht um nebenher gegen die intelligenzfreie Machart des RAF-Films zu protestieren.
Nach fünfstündiger Hatz eröffnete die Polizei das Feuer, nachdem die Jägervereine sich weigerten mitzuhelfen, denn das Schießen in bewohnten Gebieten ist ordentlichen Waidmännern per Gesetz verboten. Die uniformierten Schützen gaben sich allergrößte Mühe, taten sich aber schwer mit den Schwarzkitteln. Sie verfeuerten weit über hundert Schuss, um wenigstens sechs der acht Tiere zu erlegen. Zwei Schwarzkittel kamen unverletzt davon.
Und was lernen wir aus der Geschichte? Erstens: Bewaffnete Ganoven jeder Herkunft müssen, wenn sie der hessischen Polizei entkommen wollen, wenigstens so schlau sein wie Wildschweine, sonst werden sie erwischt. Zweitens: Autobahnen und Autos zu bauen, lockt Wildschweine - nach dem ökologischen Verursacherprinzip - zu Stadtbesuchen an. Drittens: Grünflächenämter und Jagdbehörden der ganzen Republik können "die Bejagung von Wildschweinen" intensivieren, wie sie wollen, die Tiere werden weiterhin Stadtbesuche arrangieren. Viertens: Andrea Ypsilanti sollte sich nicht nur auf allerlei Schweinisches im Allgemeinen gefasst machen, sondern auch auf die hessische Wildschweinfrage im Besonderen.
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