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die wahrheitSchwabinger Krawall: Zweierlei Demenz

Sie sei kein Mensch, der sich über alles und jedes echauffiere, sagt Frau Hammler, aber der alten Frau Reibeis mit ihrer galoppierenden Demenz werde es demnächst gelingen...

Sie sei kein Mensch, der sich über alles und jedes echauffiere, sagt Frau Hammler, aber der alten Frau Reibeis mit ihrer galoppierenden Demenz werde es demnächst gelingen, sie vollends in den Wahnsinn zu treiben. Schlimm genug, dass sie sie jeden zweiten Tag herausklingle, weil ihr schon wieder der Hausschlüssel in das Kellergitter vor der Tür gefallen ist, aber seit sie sich am Fuß operieren habe lassen und den ganzen Tag daheim sitze und Bier trinke, sei es gar nicht mehr auszuhalten.

Herr Hammler grummelt, sie solle sich nicht so aufregen, weil davon nichts besser werde, schon gar nicht ihr Blutdruck. Erst letzte Woche, erzählt Frau Hammler weiter, habe Frau Reibeis den Topf mit ihrem Frühstücksei auf dem Herd vergessen, sich zum Mittagsschlaf hingelegt und noch ein Riesenglück gehabt, dass es ihr bloß das Ei zerrissen habe und nicht die ganze Wohnung abgebrannt sei, zumal das Ei eh schon hartgekocht gewesen sei, weil sie es ihr zum Einkaufen ausdrücklich so aufgetragen habe. Vor lauter Verwirrung sei sie dann beim Putzen mit dem Kopf unter der Spüle steckengeblieben, habe den Siphon abgerissen, ihre Lesebrille zerbrochen, die gesamte Kollektion von Putzmitteln in den Einbauschrank entleert und bei dem Versuch, das Malheur zu beseitigen, die Küche in ein einziges Schaumbad verwandelt, das sie, Frau Hammler, aufwischen habe müssen.

Zu allem Überfluss habe Frau Reibeis beim Einheizen aus Versehen ihr Gebiss in den Ofen geschmissen, weshalb der ganze Aschenschub durchgesiebt werden musste und die Putzerei für die Katz war, und dann auch noch den als Nikolaus verkleideten Pastoralassistenten von der Pfarrgemeinde, der ihr ein paar Mandarinen und Nüsse bringen wollte, für einen Einbrecher gehalten und die Treppe hinuntergeschmissen. Eine Fünfundneunzigjährige, sagt Frau Hammler, müsse man betreuen, wofür aber nicht sie zuständig sei, schließlich gebe es für solche Fälle, in denen jemand alles vergesse und nichts mehr kapiere, ein Heim.

Ihr Mann zieht seine Jacke an und sagt, sie solle ihn nicht vor dem späten Nachmittag zurückerwarten. Er werde nach seinem Spaziergang direkt zum Stammtisch gehen, weil man sich dieses ständige Gejammer als normaler Mensch nicht anhören könne, ohne verrückt zu werden. Als er fort ist, beschließt Frau Hammler, sich endlich um den eigenen Haushalt kümmern zu müssen, und trägt, nur mit Schürze und Hausschuhen bekleidet, den Abfalleimer zur Aschentonne. Dass sie ihren Schlüssel vergessen hat, fällt ihr erst auf, als sie vor der Haustür steht und es intensiv zu schneien beginnt.

Es dauert zwei Stunden, bis die Kälte die Peinlichkeit überwiegt und Frau Hammler es übers Herz bringt, zähneklappernd und reumütig bei Frau Reibeis zu läuten, die ihr einen Hustentee zubereitet und sie in eine Decke wickelt, bis am späten Abend Herr Hammler heimkehrt, der sich zwar wundert, dass seine Frau an der Tür läutet, statt aufzusperren, aber vorsichtshalber nicht nachfragt, auch nicht als sie ihm am nächsten Tag ungewöhnlich fröhlich mitteilt, sie werde den Nachmittag bei Frau Reibeis verbringen und es solle diesmal lieber er sie nicht so schnell zurückerwarten.

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