die wahrheit: Bankies Abenteuer
Die ganz gewöhnlichen Erlebnisse einer Bankkarte in schweren Krisenzeiten.
Das Erste, an das Bankie sich erinnern konnte, waren die Hände ihres Herrn, die sie beinahe zärtlich aus dem Papier zogen, ein paarmal hin- und herdrehten und dann mit einem langen Metallstöckchen über den Magnetstreifen strichelten, was sehr kitzelte. Das hatte Bankie gern, und sie kicherte, doch es sollte leider das einzige Mal bleiben, dass sie so hübsch gekitzelt wurde.
Von nun an wurde Bankie die treue Begleiterin ihres Herrn und sie wich niemals von seiner Seite. Bankie wohnte in einem feinen Ledermäppchen, das ihr Besitzer stets bei sich trug, zusammen mit vielen anderen Plastikkarten. Mit den übrigen Kärtchen verstand Bankie sich recht gut, aber eine besonders enge Freundschaft entwickelte sie zu Bahnie50 und Pressie. Mit den beiden plapperte und scherzte Bankie unentwegt, sie tauschten Geheimnisse aus und erzählten sich alles. Wo sie schon gewesen waren und wem sie schon vor die Augen gehalten wurden. Da waren aber auch ein paar Eierköpfe dabei gewesen …
Mindestens einmal am Tag holte ihr Herr und Meister Bankie aus dem Mäppchen, um ihr etwas von der Welt draußen zu zeigen. Bankie sah Supermärkte und Bankautomaten, Schuhgeschäfte und Fahrradläden. Manchmal holte der Herr Bankie sogar gemeinsam mit Bahnie50 nach draußen. Dann sinnierten Bankie und Bahnie50, wie wunderbar sie es in einer Welt angetroffen hatte, die so bunt und vielfältig war. Davon berichteten sie dann Krankie, die nur ganz selten herausgeholt wurde aus dem Mäppchen und deshalb auch bereits ganz verblichen war. Krankie erzählte dafür die schönsten Schauergeschichten von hässlich ungesunden Menschen, die ihr in Arztpraxen begegnet waren.
Bankie aber spürte die besondere Freude ihres Besitzers, wenn sie ihm lustige bunte Scheine aus den Bankautomaten holte, und das erfüllte sie mit großem Stolz. Auch die Automaten begrüßten sie stets freundschaftlich einladend. Ein kurzer Plausch über Kredite, Dispos und Ähnliches war immer drin! Es war einfach ein schönes, sorgloses und behütetes Leben, und da Bankie nichts anderes kannte, glaubte sie, dass es ewig währen würde.
Eines Tages dann kam der Augenblick, an dem Bankie völlig unvorbereitet eine entsetzliche Erfahrung machen musste: Den ganzen Tag schon hatte sie sich auf die Begegnung und den Plausch mit dem befreundeten Geldautomaten gefreut, fröhlich war sie in den Schlitz geschlüpft - doch dann der Schock! Der vermeintliche Automaten-Freund weigerte sich nicht nur, die bunten Scheine für ihren Herrn auszuspucken oder freundlichen Small Talk mit Bankie zu machen, nein, der Automat schlug plötzlich wie aus dem Nichts einen äußerst harschen Ton an. Er behauptete, Bankie sei "gesperrt". Bankie verstand die Welt nicht mehr und wollte nur noch raus aus dem bösen Automaten! Doch sie war gefangen, der Automat ließ sie nicht mehr hinaus! "Mein Herr wird mich hier rausholen!", redete Bankie sich zitternd Mut zu.
Drei Tage verbrachte sie erst in einem düsteren Schacht und dann in einem Aktenordner. Eine Bankangestellte hatte Bankie aus dem Automaten geholt und ein eindringliches Gespräch mit ihrem Herrn geführt, der endlich in die Filiale gekommen war, um sie auszulösen.
Die fröhlichen Zeiten aber waren perdu, die Stimmung im Ledermäppchen wurde bitterer. Bahnie50 war verschwunden, Pressie murmelte nur unwirsch etwas von Krise und war sonst maulfaul, Krankie durfte nun öfter aus dem Ledermäppchen, Bankie selbst aber kam nur noch selten ans Tageslicht.
Bankie ertrug das alles, doch das ehemals so bunte Leben war nur noch ein Schatten seiner selbst. Bankie hatte keine Lust mehr. Und endlich kam der Tag, an dem es hieß: abgelaufen! Bankie wurde mit einer großen Schere zerteilt. Ruhe in Frieden, liebe, kleine Bankkarte.
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