die wahrheit: Die Bindestrichgesellschafter
Eine der schlagkräftigsten Waffen der deutschen Sprache ist die Substantivverleimung: "Benzinabgabensteuerergänzungsgesetz". 35 Zeichen - derlei macht ihr keine europäische Sprache nach.
DIE BINDESTRICHGESELLSCHAFTER
VON RUDOLF WALTHER
Eine der schlagkräftigsten Waffen der deutschen Sprache ist die Substantivverleimung: "Benzinabgabensteuerergänzungsgesetz". 35 Zeichen - derlei macht ihr keine europäische Sprache nach. Substantivverleimung ist in zwei Branchen besonders beliebt, in der Jurisprudenz und in der Feuilletonsoziologie.
Die Beliebtheit der Verleimung bei den Juristen versteht sich von selbst. Die deutsche Sprache wird dort ohnehin bis zur Unverständlichkeit strapaziert, so dass es auf ein paar Buchstaben auch nicht mehr ankommt. In der Feuilletonsoziologie verhält es sich genau umgekehrt: Man verleimt hier Wörter, um im Handstreich Plausibilität zu erobern. "Autogesellschaft", das versteht sogar der, der keines hat, aber schöne Bilder vom Stau gesehen hat am Fernsehgerät.
Besonders beliebt sind bei der Feuilletonsoziologie Komposita mit dem soziologischen Grundbegriff "Gesellschaft". Der Vorteil liegt auf der Hand. Da weiß gleich jeder, wo er lebt: zum Beispiel in der "Kreditrisikoverpackungsgesellschaft". Das Arsenal von Bindestrichgesellschaften ist ungefähr so groß wie die Kohorte der Feuilletonsoziologen. Einer plädierte jüngst für die "Multioptionsgesellschaft". Der Dreifachsprung hat Aufsehen erregt. Seither sucht ein Teil der Kollegen ohne viel Erfolg den Vierfachsprung und ein anderer die Komplexitätsreduktion. Bisheriger Leader dabei ist der Soziologe Ulrich Beck, der "Die und-Gesellschaft" erfand. Den Buchtitel haben ihm wohl die Lektoren bei seinem Hausverlag Suhrkamp ausgeredet, denn die wissen, was sich verkauft.
Der Kampf um die pfundigste Bezeichnung einer Bindestrichgesellschaft hält also an - besonders in der Klimadebatte. Wer "Klima" sagt, muss gar nichts wissen, außer dass es wärmer wird, was irgendwie mit Kohlendioxid - nordhessisch "zeozwo" - zusammenhängt.
"Kohlendioxid-Gesellschaft" oder "Zeozwo-Gesellschaft" haben keinen Charme. Daher kamen die Kulturwissenschaftler Harald Welzer und Claus Leggewie aus Essen, wo die Kohle sozusagen unter dem Pflaster liegt, auf die Idee, die Gesellschaft, in der wir leben, "karbone Gesellschaft" zu nennen. Chemisch astrein ist das nicht, denn die handfeste schwarze oder braune Kohle (lateinisch: "carbo") ist nicht gerade dasselbe wie das gasförmige und gar nicht schwarze Kohlendioxyd. Auf solche Kleinigkeiten kommt es der Feuilletonsoziologie aber nicht an, denn die wäre auf ihrem Weg zur "postkarbonen Gesellschaft" nur aufzuhalten, wenn begriffsmächtigere Carbonari - so nannten sich Mitglieder einer revolutionären italienischen Geheimgesellschaft im 19. Jahrhundert - die nur dreiteilige "postkarbone Gesellschaft" mit einem vierteiligen Kompositum überbieten würden.
Solange das nicht gelingt, suchen die Essener im "uferlos gewordenen Nichtwissen" nach dem "Findbuch des guten Lebens" und nach dem "karbonen Fußabdruck von Gütern und Dienstleistungen", wenn sie nicht gerade "mit gesünderem Essen und Trinken" ihren eigenen "ökologischen Fußabdruck sozusagen verkleinern". Mit Messer, Säge oder Axt?
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